Ich kann dich sehen: Thriller (German Edition)
er getan habe, und dann sei es persönlich geworden.«
»Ja, das stimmt. Ihm hat nicht gefallen, dass ich wollte, dass er verschwindet.«
»Also ging es um Sie.«
»Nein. Es ging um ihn. Er dachte, er würde jemanden beschützen. Er ist meinem Rat nicht gefolgt und hat es zu weit getrieben.«
»Und das hat Sie verärgert.«
Rachel sah sie einen Moment lang an. Liv dachte, sie würde nur mühsam ihre Wut zügeln, doch als sie sprach, klang nur Mitleid aus ihrer Stimme. »Nein, Liv. Es wurde Unterlassungsklage gegen ihn erhoben.«
Der Schweiß prickelte auf Livs Kopfhaut. Er war gewalttätig gewesen? »Weswegen?«
»Das war bereits die zweite Unterlassungsklage. Wegen zwei ganz unterschiedlichen Vorfällen. Doch jedes Mal waren Männer daran beteiligt, die Daniel vorwarfen, sie wegen Vorkommnissen belästigt zu haben, bei denen es um Frauen ging, die er gern hatte.«
Liv wandte ihren Blick von Rachel ab, blickte auf den dunklen Parkplatz hinaus und versuchte den Kloß runterzuschlucken, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. Zwei Zwischenfälle, zwei Frauen. Daniel war nach der Verhandlung mit dem Besitzer der Baufirma in Streit geraten, nachdem dessen Anwalt ihn beschuldigt hatte, den Tod von Leanne Petronio verursacht zu haben. Unglaublich mutig hatte er sie genannt. Seine Schwester hatte ihm vorgeworfen, er könnte nicht loslassen. Er hat die Botschaft verstanden , hatte er über ihren Exmann gesagt. »Waren das Leanne Petronio und Carmel, seine Schwester?«
Rachel blinzelte ein paar Mal. »Die Namen darf ich Ihnen nicht sagen.«
Aber sie hatte es auch nicht verneint. »Hat er Briefe geschickt?«
»Nein.«
»Hat er sie verletzt?«
»Er hat es angedroht. Sie haben ihm geglaubt.«
»Das ist nicht dasselbe.«
»Ich war zuerst auf der falschen Spur«, sagte Rachel. »Dachte, Ihr Exmann oder jemand aus dem Bürogebäude wäre der Stalker. Ich dachte, Daniel hätte davon Wind bekommen und sich wie immer eingemischt. Jetzt denke ich, er hat es benutzt. Ich glaube, er muss jemanden retten, damit er sich gut fühlt. Und als er Sie im Parkhaus fand, war ihm das noch nicht genug. Wahrscheinlich will er Sie auch weiterhin retten.«
Nein, das ergab keinen Sinn. »Aber mir ist ja nichts passiert, sondern Sheridan und Teagan.«
»Sie wurden gestalkt. Sie wurden verschreckt und gefährdet. Er hat Ihnen geholfen. Ihre Schlösser in Ordnung gebracht, Ihr Anwesen kontrolliert, Ihnen Frühstück gebracht. Das ist nur eine andere Form der Rettung.«
Liv fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ja, aber …«
»Er hatte überall Zutritt und eine Arbeit, die es ihm zeitlich ermöglichte. Den Einbruch in Ihr Büro, Sheridans Unfall und die Sache mit Teagan. Sogar das. Ich nehme an, dass er sie über die Brüstung geworfen hat und dann runtergerannt ist, um sie zu retten. Zwei Rettungen für den Preis von einer.«
»Nein. Sie haben ihn nicht gesehen. Er war völlig außer sich.«
»Ich habe ihn heute um eine Schriftprobe gebeten, er hat sich geweigert.«
Furcht kroch Livs Rücken empor.
»Ich kann es noch nicht beweisen, aber der Verdacht liegt sehr nahe, dass Daniel Ihr Stalker ist.«
Liv musste unwillkürlich lachen. Das war absurd. Lächerlich! Es war nicht Daniel! Verdammt! Sie kniff die Augen zusammen. Er war nach dem Überfall zum Krankenhaus gekommen, hatte eigenhändig die Schlösser angebracht, mit ihr im Café gesessen und ihren Wagen beobachtet, sie zur Wache begleitet und war jeden Abend gekommen, um ihren Garten zu überprüfen. Er hatte Essen bestellt und sich vergewissert, dass sie noch atmete. Eine Woche lang hatte er geträumt, sie wäre tot. Etwas anderes verschaffte sich in ihr Platz. Ekel und Scham brannten sauer und heiß ihre Kehle empor. Sie legte ihre Hände vor das Gesicht. »Oh, verdammt.« Vergangene Nacht. Die ganze Nacht.
»Liv?«
Sie spürte Rachels Hand auf ihrer Schulter, stieß sie aber fort, stemmte die Tür auf und stolperte auf den feuchten Asphalt. Ihre Hand fand das weiche Metall eines Laternenpfahls. Sie beugte sich vor und übergab sich.
Während sie würgte, hörte sie, wie sich die Wagentür öffnete, Schritte auf der Straße knirschten und Rachel neben sie trat. Als sie fertig war, reichte Rachel ihr eine Packung Taschentücher und folgte ihr, als Liv zurück zum Wagen ging und die heißen Handflächen auf die kühle Motorhaube legte.
»Alles in Ordnung?«, fragte Rachel.
»Ich habe mit ihm geschlafen.«
Sie antwortete nicht. Was zum Teufel sollte sie auch darauf
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