Ich kann dich sehen: Thriller (German Edition)
das?«
»Erzählen Sie mir von dem Unfall.«
»O mein Gott. Hat er etwas damit zu tun? Wie kann man jemanden dazu bringen, gegen einen Baum zu fahren?« Sie kniff die Augen zusammen. »Sie liegt im Koma. Wegen mir.«
»Livia.« Seine Stimme klang scharf. Das veranlasste sie, ihre Augen wieder zu öffnen. »Was ist letzte Nacht passiert?«
»Sie ist gegen einen Baum gefahren. Mehr hat Andy mir nicht erzählt.«
Daniel sah sich noch einmal das Foto an, legte es auf das Armaturenbrett und sah prüfend durch die Windschutzscheibe auf die Straße. »Wer wusste, dass Sie heute herkommen?«
»Niemand. Ich habe es ganz spontan entschieden.«
»Gehen Sie zu allen Spielen Ihres Sohnes?«
»O mein Gott, Cameron.« Sie packte den Türgriff, war kurz davor, sich in den Verkehr zu stürzen, aber Daniel hielt sie am Arm zurück.
»Warten Sie. Ist er mit Ihnen hergekommen? In Ihrem Auto?«
»Nein. Er war bei seinem Vater.«
»Wie viel Zeit haben Sie mit ihm verbracht?«
»Gar keine. Er weiß gar nicht, dass ich hier war.« Sie sah seinen fragenden Gesichtsausdruck und spürte, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg. Welche Mutter ging schon zu einem Spiel, ohne ihrem Sohn etwas davon zu sagen? »Ich sollte eigentlich gar nicht hier sein. Das ist Teil der Sorgerechtsvereinbarung. Aber nach dieser Woche … nach … allem, was passiert ist, wollte ich ihn einfach sehen.«
»Dann ist er vermutlich in Sicherheit.« Daniel lockerte seinen Griff und strich mit dem Daumen leicht ihren Arm entlang. »Ich hätte mich auch nicht ferngehalten.«
Es fühlte sich zärtlich und vertraut an, sie wollte mehr davon, wollte, dass er seine Arme fest um sie schlang und ihr sagte, dass alles in Ordnung war. Doch er lehnte sich wieder auf dem Sitz zurück, wandte sich ab und drehte seinen Kopf hin und her. Wahrscheinlich kontrollierte er die Spielfelder. Warum? Ob jemand einen Stapel weißer Umschläge in der Hand hielt? Wonach zum Teufel sollte sie suchen?
Er drehte sich um und blickte durch das Heckfenster. Liv spähte durch den Rückspiegel. Geparkte Autos, zäh fließender Verkehr, Fußgänger.
»Wir sollten los. Können Sie fahren?«, fragte Daniel.
Sie legte die Hände auf das Lenkrad und hielt es fest umklammert, um nicht mehr zu zittern. »Ja.«
»Lassen Sie den Motor an.«
Das war ein Befehl. Er bellte sie nicht an, schien keine Spur von Panik oder Wut oder Angst zu haben. Keines der Gefühle, die in ihr tobten. Er klang ruhig und schien völlig Herr der Lage zu sein, als habe er eine Entscheidung getroffen und würde nun an ihr festhalten. Das war großartig und genau das, was Liv brauchte. Sie startete den Wagen.
Liv fädelte sich in den Verkehr ein, fuhr an den Fußball-, Korbball-, Rugby- und Tennisplätzen vorbei, behielt den Rückspiegel im Auge und spähte nach rechts und links. An den Ampeln blieb sie stehen und wischte sich ihre verschwitzten und zitternden Hände an den Oberschenkeln ab.
»Fahren Sie zügig die Hauptstraße ein paar Häuserblocks weiter runter«, sagte Daniel. »Dann biegen wir in ein paar Seitenstraßen ab und schauen, wer uns folgt.«
Sie betätigte den Blinker.
»Nur keine Hektik, fahren Sie einfach ganz normal weiter.«
»Sie meinen, ich soll mir nicht anmerken lassen, dass das Arschloch, das mich zusammengeschlagen hat, mir auf den Fersen sein könnte?«
»Genau.«
»Na schön, kein Problem.«
Sie bog links ab, fuhr ein paar Häuserblocks weiter, folgte seinen Anweisungen, bog von der stärker befahrenen Straße ab und fuhr im Zickzack durch eine gehobene Gegend. Hier war sie noch nie durchgefahren, doch er schien genau zu wissen, wo er hinwollte. Niemand folgte ihnen über mehr als zwei Häuserblocks.
»Wie läuft’s, Puncher?«
Sie hatte nur knapp über drei Stunden geschlafen, doch die Angst und das Adrenalin gaben ihr das Gefühl, als könne sie noch tagelang wach bleiben. »Ich muss bald tanken, aber sonst ist alles okay.« Und Autofahren fühlte sich viel besser an, als sich im Reihenhäuschen einzusperren und sich zu fragen, wer zum Teufel da draußen herumschlich.
Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Daniel seinen Blick über ihre Hände am Steuer, ihren Körper auf dem Autositz und auf ihre Beine, die die Pedale bedienten, gleiten ließ. Offenbar ging er eine Checkliste zu Stresssymptomen durch. Dann sah er wieder in ihr Gesicht.
»Was ist?«, fragte sie ihn.
»Was halten Sie davon, den Lockvogel zu spielen?«
23
Liv fuhr zu der Einkaufsstraße neben dem Park, genau an
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