Ich kann dich sehen: Thriller (German Edition)
ihre Kamera ein und hörte das Surren, als das Objektiv ausfuhr.
Der Mann trug eine Baseballkappe, Sonnenbrille und ein langärmeliges T-Shirt. Mehr konnte sie über die Autos hinweg nicht erkennen. Er ging vorne an der Kühlerhaube von Livs Wagen vorbei, drehte sich um und bewegte sich zur Fahrerseite. Sie drückte ab und wurde kurz von dem Bild geblendet, das auf dem Display erschien. Sie senkte die Kamera und wartete, dass er sich über die Windschutzscheibe beugte und einen Zettel hinterließ. Doch mit den Händen in den Hosentaschen seiner Jeans schlenderte er weiter und sah auf den Gehweg. Er hatte keine Verletzungen im Gesicht und blieb auch nicht stehen. Er bahnte sich einfach nur seinen Weg zwischen den Autos hindurch.
Als der Kaffee an ihrem Tisch serviert wurde, prüfte sie das Bild auf ihrer Kamera. Es war scharf genug, selbst auf die Entfernung und durch das Fenster. Falls er es war, hätte sie ihn wiedererkannt? Und wenn nicht? Was, wenn sie das Foto Rachel brachte und die Polizei ihn auch nicht identifizieren konnte?
»Vielleicht sollten wir rausgehen, wenn wir ihn sehen. Deutlich machen, dass wir fotografieren. Ihm zeigen, dass wir ihm auf der Spur sind, ihn vielleicht bedrohen.«
Daniel war auf Konfrontation aus. Er war ein kräftiger Mann, Angriff wäre sein nächster Schritt gewesen, vermutete sie. Doch er schüttelte den Kopf. »Der Kerl hat in der Dunkelheit auf Sie gewartet und ist auch nicht davor zurückgeschreckt, Sie zu verletzen. Wenn wir ihn zur Rede stellen, wird ihn das nicht erschrecken. Im Gegenteil, es könnte ihn sogar provozieren, noch aggressiver vorzugehen und schwerer zu finden zu sein. Machen Sie ein Foto, und geben Sie es der Polizei, lassen Sie diese Leute ihren Job machen.«
Sie warf frustriert die Hände in die Luft. »Ich würde ihn am liebsten anschreien, aber da ist ja niemand, den ich anschreien könnte. Ich bin es so leid, dass ich nichts unternehmen kann. Das fühlt sich so verdammt untätig an.«
Er nahm ihr Handgelenk und hielt es fest, bis sie ihn ansah. »Sie sind nicht untätig, Liv. Sie bewältigen das, Sie arbeiten mit den paar Fakten, die Sie kriegen können, gehen keine unnötigen Risiken ein, sammeln Informationen und Beweise. Sie denken nach, sind vorsichtig und haben einen Baseballschläger.«
Sie lächelte resigniert. »Vielleicht sollte ich den in meine Handtasche stecken.«
»Ein Ziegelstein täte es auch und ließe sich leichter transportieren.«
Zeit, dass er sie losließ. Sie zog ihre Hand weg und nippte an ihrem Kaffee. »Wir haben ihm genug Zeit gewidmet. Schalten wir die Kameras aus und wechseln das Thema.«
Sein Nicken war eher Billigung als Zustimmung. »Für April ist es immer noch ziemlich warm.«
»Fällt Ihnen nichts Besseres ein?«
»Was hätten Sie denn für einen Vorschlag?«
»Waren Sie je verheiratet?«
»Wie wäre es mit etwas Small Talk für den Anfang?«
»Sie wissen alles über mich. Es ist an der Zeit, dass ich auch etwas über Sie erfahre.«
Er lachte. »Na gut. Nein, ich war nie verheiratet. Ich habe fünf Jahre mit jemandem gelebt. Die letzten beiden davon waren wir verlobt. Sie hat einen Rückzieher gemacht, bevor es zu spät war.«
»Tut mir leid. Ist es lange her?«
»Ungefähr vier Jahre. Es muss Ihnen nicht leidtun. Sie war nicht die richtige Frau für einen Feuerwehrmann und war es schließlich überdrüssig, darauf zu warten, dass ich normal wurde.«
Liv hob die Augenbrauen. »Normale Jungs werden keine Feuerwehrmänner. Und vermutlich gehen normale Feuerwehrmänner auch nicht zur Rettung.«
»Das ist nichts für jeden.«
»Warum sind Sie weggegangen?«
Er rührte den Zucker in seinem Kaffee um, bevor er ihr eine Antwort gab. »Ich dachte, ich könnte Menschen retten, bevor ihnen was passiert, und dafür sorgen, dass ihnen nichts passiert, wenn ihre Büros zusammenkrachen.«
»Wie das im Central Coast?«
»Genau.«
»Ich habe von Ihrer Tapferkeitsmedaille gelesen.«
Er sah weg. »Medaillen machen Menschen auch nicht mehr lebendig.«
»Nein, da haben Sie recht. Es tut mir leid.«
»Es ist schon lustig, dass ich als gewöhnlicher Kerl im Anzug geendet habe.«
»Vielleicht in einem Anzug. Aber sicher nicht gewöhnlich. Jedenfalls nicht, soweit ich das bis jetzt beurteilen kann.«
Sie warteten etwa eine Stunde, dann bestellte Daniel Sandwiches, sie aßen und beobachteten. Er fragte sie nach ihrem Vater, sie erzählte ihm von seinem Krebsleiden und dem Hospiz, ihr fielen die y-förmige Narbe im
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