Ich kann jeder sagen
zusammen: An einem 20. April kam Adolf Hitler zur Welt, und im Jahr 1918 konstituierte sich nach dem Ende des Weltkriegs und dem Zerfall der alten Habsburgermonarchie die erste österreichische Republik.
Geht man die leicht abschüssige Girardigasse hinunter zur Wienzeile, kommt man, links abbiegend, zum »Theater an der Wien«. Geht man die Girardigasse hinauf zur Lehargasse, stößt man auf das »Semper-Depot«, ein Gebäude, das zur Lagerung von Theaterkulissen errichtet worden ist. Heute befinden sich im »Semper-Depot« Ateliers der Kunstakademie, aber an der Architektur lässt sich immer noch ablesen, wie genial die Wiener bei der Beantwortung der Frage waren: Wie können wir die Kulissen, im Grunde Vor-Wände, die wir im Moment nicht brauchen, lagern, bis wir sie wieder benötigen?
In der Girardigasse war dort, wo heute mein Haus steht, auf der Höhe von Nr. 10, in Girardis Todesjahr eine Baulücke. Begrenzt von einem windschiefen, lückenhaften Bretterzaun.
Die Girardigasse stößt, wie gesagt, auf die Wienzeile. Dort, am sogenannten Naschmarkt, befand sich zu Beginn der ersten Republik nächtlings ein Strich. Es gibt zahllose Geschichten von der Genialität der damaligen Naschmarkt-Prostituierten: Den alleinstehenden Bürgern, die nach Vorstellungsende aus dem »Theater an der Wien«, oder den Arbeitern, die aus dem »Ateliertheater« strömten, gaben sie mühelos den Eindruck, dass die Realität eine unmittelbare Fortsetzung des jeweiligen Theaterstücks sei, und für die Bauern, die in der Nacht ihr Gemüse zum Naschmarkt lieferten, spielten sie »verruchte Großstadt«. Es gab das »warme« Hotel und das »kalte«. Das »warme« war das »Hotel Drei Kronen« in der Schleifmühlgasse, das »kalte« war das verwilderte kleine Stück Brachland hinter dem Bretterzaun in der Girardigasse.
Das war die Erste Republik. Abreaktionen, die nicht lange anhielten. Beklommene Suche nach Erlösung. Kalt warm. Erwachen mit Selbsthass. Suche nach dem Purgatorium. Das Leben wollte markig werden, oder – wenn schon bigott, dann richtig. Und so fiel der Vorhang für die Erste Republik – Applaus! – und es fiel auch der Vorhang für den Naschmarktstrich. Der klerikalfaschistische Ständestaat verbot die Straßenprostitution. Das war Ende 1934. Die beiden damals reichsten Zuhälter, ein gewisser Franz Kuchwalek (eigenartigerweise ebenfalls an einem 20. April geboren) und Adolph Girardi (bizarrerweise ein entfernter Verwandter des Schauspielers, nach dem die Gasse schließlich benannt werden sollte), taten sich zusammen und ließen in der erwähnten Baulücke ein Bordell bauen, das heutige Haus Girardigasse Nr. 10.
Dieses Gebäude war zu seiner Zeit revolutionär: das erste Haus in Wien, das nicht zu einem Puff adaptiert, sondern bewusst als Bordell geplant und errichtet wurde. Eine Herausforderung für den leider unbekannten Architekten, der eine geniale, viel zu wenig gewürdigte Lösung fand. Eine Fassade, die nichts ist als dies: bloße Fassade. Nie würde man hinter dieser Schlichtheit und Ornamentlosigkeit, die Loos zitiert und die Zitate auch gleich wieder versteckt, irgendetwas vermuten, das anrüchiger wäre als der Schein kleinbürgerlicher Häuslichkeit. Eine Fassade, so unscheinbar, dass sie in dieser Lage – Theater links und Kulissendepot rechts – etwas bedeuten musste. Wer dieses Haus betrat, trat aus dem Freien voller faschistischer Verbote in ein Inneres, das erst buchstäblich das Freie war, auch wenn es überdacht war: Hinter der kulissenhaften Fassade ein Hausflur wie ein kurzes verschwiegenes Gässchen, das zu einem Platz führt, von dem ein so großartiger wie verzwickter Boulevard wegführt, der sich, weil es ein Innen-Boulevard ist, gerollt und gewunden in die Höhe schraubt, vier Etagen hoch, in jedem Stockwerk macht er einen eleganten Schwung, will sich ausbreiten, strecken und muss doch wieder sich Stufen hochwinden und eine weitere Galerie bilden, mit einem schmiedeeisernen Geländer, wie eine städtische Straße an einem Fluss. Kurz: die von Prostituierten gereinigte Wienzeile, die am Wienfluss entlang führte, wurde hinter der Kulisse eines biederen Wohnhauses gleichsam als »Wendel-Straße« neu aufgebaut und wieder mit Prostituierten bevölkert. Da standen sie auf diesen Galerien, und die Männer, die hereinkamen, mussten zu ihnen aufblicken. Draußen regierte ein faschistischer Führer, Engelbert Dollfuß, ein Zwerg, auf den Wien hinabblick te.
Aus dieser Zeit gibt es die schönsten
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