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Ich kenne dich

Ich kenne dich

Titel: Ich kenne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenn Ashworth
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meinem Zimmer, bis der ganze Text so weit fertig war, dass er abgetippt werden konnte. Ich glaube, manches davon hat sich in meinem Kopf festgesetzt. Ich hatte Albträume, in denen ich in einem Tiefsee-U-Boot gefangen war und ertrank.
    Donald, der oft zu den merkwürdigsten Uhrzeiten über den Flur wanderte, hörte mich, als ich aus dem Schlaf hochschreckte, und setzte sich ein- oder zweimal auf mein Bett, um mir von dem Schnee zu erzählen, der unter Wasser fällt. Aus seinem Mund klang es wunderschön. Ich stellte mir vor, auf dem Meeresboden zu stehen und zu beobachten, wie es herunterrieselte, bunte Flocken, die meilenweit herabtrudelten und auf meinem Kopf landeten. Die die Flanken der Fische streiften und sich auf den schwarzen Rücken von riesigen, langsam treibenden Walen sammelten.
    Über manche Dinge kann ich nicht zu viel nachdenken. Wie über die Stimmen, die ich eines Nachts im Flur gehört hatte – ein tiefes, grummelndes Schluchzen, das von Donald kam, und die Stimme meiner Mutter, die recht deutlich aus Donalds Zimmer in meines drang.
    Ich muss davon wach geworden sein. Davon, oder von einem weiteren Albtraum. Ich erinnere mich, dass ich in der Dunkelheit meine Knie umklammerte und das Waschpulver in meiner Decke riechen konnte.
    »Trink deinen Tee«, sagte sie mit leiser, ausdrucksloser Stimme. »Setz dich in deinen Sessel, und nimm die Decke hier.«
    Barbara dachte, mit Erkältungstee konnte man alles kurieren, von Unruhe bis zu den Masern, und sie steckte oft einen Beutel in meine Schultasche, wenn ich nicht hinsah, nur für den Fall.
    »Habe ich einen Fehler gemacht?« Ich hörte, dass Schubladen aufgezogen wurden und Papier raschelte. Kein Einbrecher. Donald suchte etwas.
    »Es wird schon alles gut werden«, erwiderte Barbara tröstend. »Setz dich wieder hin. Hier, ich habe dir Tee gekocht. Nimm die Tasse, ich verbrenne mir noch die Hand.«
    »Ich habe es nicht erfunden, oder, Barbara?«
    Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich lauschte, aber meine Tür war angelehnt. Wenn ich aufgestanden wäre, um sie zu schließen, hätte sie mich gehört, und in diesem Moment hätte ich lieber einen Pflasterstein in ein Buntglasfenster geworfen, als die Aufmerksamkeit auf meine Anwesenheit im Haus zu lenken.
    »Schlaf jetzt«, sagte sie. »Du hast das nicht geträumt. Das ist die beste Bewerbung, die sie bekommen werden.«
    Es gab ein leises Protestgemurmel von Donald – aber nur halbherzig. Die Krise war vorüber. Jetzt hörte man andere Geräusche – der Schrank im Flur, wo die Handtücher und Bettwäsche untergebracht waren, wurde geöffnet und etwas herausgenommen. Ich hielt die Luft an und versuchte, mich nicht zu bewegen.
    »Schlaf jetzt«, wiederholte sie. »Setz dich in deinen Sessel und schlaf eine Weile. Ich bleibe heute Nacht bei dir. Ich schlafe bei dir. Schau, ich habe die Campingliege. Trink deinen Tee. Mach die Augen zu.«
    Sie war eher seine Mutter als meine. Immer, einfach immer, und besonders dann, wenn ich sie am meisten brauchte. Darüber habe ich lange nicht nachgedacht. Ich glaube, weil es wehtut, sich diese so unbefangene Zärtlichkeit in Erinnerung zu rufen – und was sich zwischen meinen Eltern abspielte, als Donald begriff, wenn auch nur für einen Augenblick, dass es so etwas wie die Sea Eye nicht gab, dass er seine Wünsche verwechselt hatte mit Fakten, was ihn untröstlich machte. Ich hörte, dass Barbara alles frisch bezog, so diskret, ohne auch nur ein Wort zu verlieren.

22
    Ich hörte, dass Barbara schwankend die Treppe herunterkam, und ich schaltete den Fernseher aus und wartete. Einen Moment lang gab es kein anderes Geräusch als das Schlurfen ihrer Hausschuhe über die Treppenstufen und das statische Knistern, das von der gewölbten schwarzen Mattscheibe in dem dunklen Zimmer ausging. Ein Streifen Licht aus der Küche fiel über den Teppich und endete vor meinen Füßen. Ich konnte ihre Fahne riechen, bevor sie in meine Nähe kam.
    »Mum?«
    Sie warf die Seiten nach mir von der Türschwelle aus. Sie flatterten durch die Luft. Das war das zweite Mal in dieser Woche, dass jemand einen Stapel Papier nach mir warf. Man zuckt zurück, obwohl man weiß, dass es einen nicht verletzen kann, und es ist demütigend. Ich saß still, und das Geräusch der Blätter, die durch die Luft wirbelten und auf den Boden schwebten, verstummte rasch. Das erinnerte mich an zwei Dinge. Erstens an das eine Mal, als Donald und ich vor den Nachrichten Crazy Eights spielten und er versucht

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