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Ich kenne dich

Ich kenne dich

Titel: Ich kenne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenn Ashworth
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unbestimmt und weigert sich, ihre Augen von der Mattscheibe abzuwenden. Sie kaut geistesabwesend am Ärmelbund ihrer Jacke. Eine alte Angewohnheit von ihr.
    »Weißt du noch, als wir unsere Aussagen gemacht haben?«, frage ich. »Die haben uns gefilmt, nicht wahr?«
    Emma rümpft die Nase. »Aber nicht fürs Fernsehen.«
    »Nein, aber ist die Vorstellung nicht unheimlich? Unsere Antworten sind immer noch irgendwo aufgezeichnet. Auf irgendeinem Band in einem Archiv. Hast du dich nie gefragt, was sie damit machen?«
    Sie erwidert schließlich meinen Blick. »Darüber denke ich nie nach.«
    »Ich schon«, sage ich und schlucke. »Ich frage mich manchmal, ob sie dir und mir dieselben Fragen gestellt und unsere Geschichten abgeglichen haben.«
    Emma hustet entschlossen und zieht ihren Tabakbeutel aus der Tasche. Die Bewegung genügt, um das Thema für beendet zu erklären.
    »Ich finde das ekelhaft«, sagt sie, über den Tabak gebeugt. »Die ganzen Leute. Das ist Chloes Abend. Wir sind ihre Freundinnen, nicht die.«
    »Das hat damit nichts zu tun«, sage ich, halb belustigt, als mir bewusst wird, dass sie genauso gut über ungeladene Gäste auf einer Geburtstagsfeier oder auf einem Hochzeitsempfang reden könnte. »Das liegt an Terry. Der hat immer seinen Anhang dabei, wenn er vor Ort berichtet. Er kann seit Jahren seine Einkäufe nicht mehr selber machen.«
    »Man sollte sie nach Hause schicken«, sagt Emma. »Das ist respektlos.«
    Die Männer mit der Bahre verschwinden zwischen den Bäumen. Die Polizei bringt das Absperrband wieder an, und die Menge rückt zusammen, um die Lücke zu schließen. Das Bild wechselt in die Vogelperspektive – sie haben den Hubschrauber losgeschickt. Ein großer roter Van steht auf dem Parkplatz, groß wie ein Tourbus, und der Lack glänzt so sauber, dass er beinahe funkelt. Auf der Seite des Transporters ist das Logo von Terrys Sendung, und auf dem Dach ragen ein paar Antennen und Schüsseln empor. Es sieht aus, als wäre der Wagen akupunktiert. Sie haben ein mobiles Studio angekarrt, und Terry richtet sich darin für die Nacht ein.
    Da ist er. Vor dem Van, mit seiner Pelzmütze und geschwollenen Tränensäcken. Er ist seit Stunden vor Ort. Er muss was tun, um die Monotonie zu durchbrechen.
    »Wir bekommen sehr viele Anrufe«, sagt Terry. »Wir möchten Ihre Meinung erfahren. Die Nummer ist unten im Bild eingeblendet. Rufen Sie an, und sagen Sie mir, wie Sie darüber denken. Wir wissen, dass Sie uns gerne Ihre Meinung mitteilen möchten, und wir haben auch schon unseren ersten Anrufer. Paul?«
    »Terry, ich wollte nur sagen, dass ich heute Abend kurz mit dem Hund raus bin, um eine kleine Runde zu drehen, und auf der Blackpool Road hängt doch dieses Riesenplakat von Ihnen … wissen Sie, die große Reklametafel, auf der Sie die Daumen hochrecken?«
    »Ja, Paul, ich weiß.«
    »Nun, irgendeiner ist hingegangen und hat es runtergerissen. Oder es war nicht richtig auftapeziert. Jedenfalls liegt es jetzt in Fetzen auf der ganzen Straße verteilt.«
    »Eine Meldung über Anti-Terry-Vandalismus, oder sollten wir sagen, eine gemeinschaftliche Protestaktion?«, fragt Terry und lächelt, direkt durch den Fernsehbildschirm. Ein, zwei Momente lang herrscht Schweigen, dann verwandelt sich das Lächeln in ein langsames Lachen, das seine Augen nicht erreicht.
    »Nun, wie auch immer Sie das nennen wollen, ich halte das jedenfalls für eine Schande, und falls es morgen früh regnet wie vorhergesagt, dann könnte das auch das Unfallrisiko erhöhen. Was, wenn ein junges Paar mit dem Wagen über das aufgeweichte Papier rutscht und von der Straße abkommt? Denken Sie, es ist ein Trost für die Kinder der beiden, dass der Unfall wegen eines Bilds von Ihrem Gesicht passiert ist?«
    »Ganz richtig, ich hätte es selbst nicht besser ausdrücken können«, sagt Terry. »Und, Paul, möchten Sie noch etwas sagen zu dem Hauptthema des Abends? Was ist Ihre Meinung zu den Ereignissen in den letzten zehn Stunden? Was empfinden Sie?« Terry fasst sich ans Ohr und beugt sich in die Kamera. »Ich höre.«
    »Tja, so ist es eben, nicht wahr, Terry? Wie lange hat er da schon gelegen? Die werden nie herausfinden, wer das getan hat, bevor sie nicht wissen, wann es passiert ist, wenn Sie verstehen, was ich meine. Das werden die doch sicher als Erstes in Angriff nehmen, oder?«
    »Sie sprechen von dem bedauernswerten – von dem Leichnam?«
    »Klar«, sagt Paul, und seine Stimme klingt wieder warm – belustigt und freundlich.

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