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Ich kenne dich

Ich kenne dich

Titel: Ich kenne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenn Ashworth
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wahrscheinlich vergessen oder zu viel Schiss gehabt, sie zurückzuverlangen. Aber ich steckte sie nicht ein.
    »Wie heißt du?«, fragte er.
    Er hatte den Ball unter den Arm geklemmt, während die andere Hand in seine Jackentasche gezwängt war. Ich konnte durch den Stoff sehen, dass seine Finger herumspielten und die Kippenschachtel immer wieder drehten.
    »Lola«, antwortete ich. Da ich beschlossen hatte, mit ihm ganz normal zu reden, erklärte ich es ihm, wie ich das bei allen tat, die ich neu kennenlernte. »Lola ist nicht mein richtiger Name. Eigentlich heiße ich Laura. So steht es in meiner Geburtsurkunde. Und im Schulregister. Laura Madeline Webb. Mit zwei Bs – nicht wie das World Wide Web. Aber als ich klein war, konnte ich meinen Namen nicht richtig aussprechen.« Ich rollte mit den Augen. »Statt Laura sagte ich immer Lola. Meine Eltern fanden das niedlich. Außerdem gibt es einen Song, der ›Lola‹ heißt und auf den meine Eltern früher abgefahren sind. Darum nennen mich alle Lola. Sogar die Lehrer, manchmal.«
    Er wartete geduldig, dass ich zum Ende kam, obwohl es ihn nicht die Bohne interessierte.
    Ich musste lachen. »Was denn?«
    »Lola, was ist ein ›Knastköder‹?«
    »Oh. Das solltest du nicht sagen. Ich war gerade nur ein bisschen mies drauf. Weil es so schweinekalt ist.«
    »Aber was ist das? Was bedeutet das?«
    »Nichts.«
    »Lola Webb, was bedeutet ›Knastköder‹?«
    Ich wollte nicht mit ihm über Sex reden. Woher sollte ich wissen, inwieweit er aufgeklärt war und worüber seine Eltern ihn im Unklaren gelassen hatten? Es gab Dinge, vermutete ich, in denen er nie praktische Erfahrung zu sammeln brauchte, und das, was Chloe und Carl gerade auf dem Rücksitz trieben, war wahrscheinlich eins davon.
    »Ich hab dir eine Zigarette gegeben. Ich war dein bester Freund! Und jetzt ignorierst du mich?«
    »Herrgott noch mal. Mit ›Knastköder‹ ist ein Mädchen gemeint, das zu jung ist, um Sex zu haben. Unter sechzehn. Aber hübsch, schätze ich. Wie ein Köder, für die Fische. Zu jung, um Sex mit einem erwachsenen Mann zu haben, der großen Ärger kriegen kann, falls er sie gezwungen hat. Oder sie betrunken gemacht hat oder so. Aber weil sie hübsch ist, möchte der Mann ganz oft Sex mit ihr haben. Obwohl er zu alt ist und das nicht darf mit ihr. Und wenn jemand dahinterkommt, wandert er in den Knast. Weil er am Köder angebissen hat. Es ist also nicht wirklich ein nettes Wort. Du solltest es nicht benutzen.«
    Wilson blieb eine Weile stumm. Wir standen nebeneinander unter den Bäumen und schauten zum weißen Himmel hoch, während wir unsere Atemwolken beobachteten. Die Sonne ging bereits unter. Es musste ungefähr drei sein.
    »Mein Dad nimmt mich manchmal mit zum Angeln«, erzählte Wilson. »Er hat mir eine Tabakdose gegeben. Ich soll nach Würmern graben und sie vollmachen. Die besten Würmer sind die dunklen. Die haben viel gegessen. Die Fische mögen sie so am liebsten und beißen schneller an.«
    »Ja?«, sagte ich und schaute zum Wagen. Ich stand zu weit weg, um etwas zu erkennen, aber sie mussten mittlerweile fertig sein. Meine Füße waren so kalt, dass sie schmerzten. Es war eisig.
    »Ich war hier schon mal angeln«, sagte Wilson und nickte nach hinten in Richtung Wald. »Da drinnen ist ein Weiher.«
    »Ich weiß. Aber zurzeit wirst du da nichts fangen können«, erwiderte ich. »Er ist komplett zugefroren.«
    Wilson nickte. »Ich war vorhin da. Hab es gesehen. Glaubst du, den Fischen geht es gut unter dem Eis?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich schon. Schließlich gibt es auch Fische in Ländern, wo es kälter ist als bei uns. Eisbären fressen Fische.«
    »Ich kann kaum erwarten, dass es schmilzt«, sagte Wilson. »Kaltes Wasser ist okay, aber wenn es zufriert, kann man nicht angeln, und das ist scheiße.« Er kicherte. »Echt scheiße.«
    »Aber du könntest darauf eislaufen«, sagte ich.
    »Interessiert mich nicht«, entgegnete Wilson und schüttelte den Kopf. »Ich grab lieber Würmer aus und geh angeln.«
    »Ich war auf dem Weiher schon mal eislaufen«, sagte ich. »Das ist geil. Man schwebt wie auf Wolken. Richtig schnell. Und selbst wenn man hinfällt, tut es gar nicht so weh, weil man weiterrutscht. Allerdings sollte man Handschuhe anziehen und die richtigen Schuhe.«
    »Öde«, sagte Wilson. »Außerdem haut mein Dad mich, wenn er mich draußen auf dem Eis erwischt. Ich bin oft davor gewarnt worden.«
    »Ja«, sagte ich. »Ich auch. Das tun alle Eltern.

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