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Ich kenne dich

Ich kenne dich

Titel: Ich kenne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenn Ashworth
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er sich aufbaute, als würde er sich auf einen Kampf einstellen. Wilson war schwerer als Carl – größer, breiter – , Donald hätte seine Turnschuhe als Kanus bezeichnet. Aber er war weich und langsam, und er wusste nicht, wie Carl war.
    »Was hast du gesagt?«, fragte Carl leise, als würde es ihn ernsthaft interessieren. Er wölbte eine Hand hinter dem Ohr. »Hab dich nicht verstanden, Kumpel. Du musst ein bisschen lauter reden. Mach schon. Sei nicht schüchtern.«
    »Ich sag es meinem Dad. Ich hab keine Angst vor dir. Fieslinge hacken nur auf Leuten herum, vor denen sie Angst haben. Du bist bloß neidisch. Du und dein Knastköder!«
    »Sag das noch mal.«
    Carl wirkte nicht wütend, er strahlte vollkommene Ruhe aus. Er war steif – aber entspannt – , sogar ohne die Zähne zusammenzubeißen, die Arme locker an den Seiten, die Finger leicht zu Fäusten geschlossen. Er holte mit dem Arm aus wie mit einer Peitsche und verpasste Wilson einen seitlichen Schlag an den Kopf, bevor dieser sich ducken konnte. Das war die Art von Dingen, die sein Vater wahrscheinlich mit ihm machte, wenn er ihn beim Rauchen erwischte.
    Er wird es überstehen, dachte ich. Allerdings war es ein harter Schlag, der ein Geräusch machte, als hätte Carl Holz gespalten.
    Wilson legte die freie Hand über den Kopf, als würde es zu regnen anfangen. Er heulte mit offenem Mund. Spucke blubberte in seinen Zahnlücken, und aus seiner Nase lief Rotz. Es war laut. Er heulte in diesem schrillen Singsang und plapperte weiter von seinem Dad und dem Knastköder. Es war, als wäre es ein Fremdwort, eines, das er nicht verstand. Ich glaube nicht, dass er es vorher schon mal gehört hatte, und weil es neu war, hatte es sich in seinem Gedächtnis festgesetzt. Das, und weil es was mit Sex zu tun hatte. Aber ich konnte sehen, dass es Carl nicht gefiel.
    Chloe lachte.
    »Blöder Mongo«, sagte sie, würgte kurz und spuckte auf seine Schuhe. In der Spucke war Blut, weil sie ihre Lippe aufgebissen hatte.
    Wilson kreischte lauter und ließ wieder seinen Ball fallen. Er bückte sich und versuchte, den dicken Schaum von seiner Schuhspitze zu wischen. Carl hob den Fuß, und ich dachte, er würde Wilson gegen den Kopf treten. Ich öffnete den Mund, aber ich war wie versteinert, und Carl zog durch und traf den Ball, schmetterte richtig drauf. Er flog in hohem Bogen über die Weißdornhecke und verschwand im Gestrüpp und dem Unterholz dahinter.
    »He, was soll das?«, rief Wilson. Er wischte sich die Hand an seiner Jacke ab, dann rieb er sich damit übers Gesicht. Er war immer noch bereit, zu lächeln und uns zu verzeihen. Er war immer noch bereit, das Ganze als einen Scherz zu betrachten.
    »Na los, geh schon und hol ihn dir«, sagte Carl. »Ich gebe dir einen Vorsprung.«
    Wilson verschwand durch die Hecke. »Zählst du bis zehn?«, rief er, als würden sie Verstecken spielen. Ich konnte hören, wie er knackend über die trockenen Zweige und Blätter stapfte und am Waldrand herumstolperte. Er begann selber zu zählen. »Sieben Krokodil … acht Krokodil … neun Kroko…«
    Carl wölbte die Hände um den Mund. »Bist du bereit? Ich werd dir gleich deinen verdammten Hintern versohlen!«, brüllte er, während seine Stimme sich überschlug. »Ich kooo-mme!«
    Chloe lachte, und aus dem Wald kam ein schwaches Wimmern.
    »Ich wette, er hat sich gerade vollgeschissen«, sagte Carl.
    »Lasst uns gehen, ja?«, sagte ich.
    Carl schüttelte den Kopf. Grinsend hob er die Hand und zählte stumm an seinen Fingern herunter, während Chloe lächelte und an ihrem Kragen zupfte. Als er bei null ankam, bohrten sich seine Finger in die Handfläche, und er ballte die Faust und lief los, um sich mit einem lauten Schrei den Weg durch die Hecke zu bahnen.
    »Du solltest besser einen Zahn zulegen!«, rief er, und ich konnte Wilson kreischen hören. Es war so schrill, so unverkennbar panisch, dass ich glaube, ich hätte vielleicht darüber gelacht, hätte ich ihn nicht vorher kennengelernt.
    Vielleicht hätte ich gelacht.
    Ich glaube, ich habe gelacht.
    Wir warteten. Chloe nahm ein Döschen Lippenbalsam aus der Tasche und zog einen ihrer Handschuhe mit den Zähnen aus, um die Lippen einzufetten. Ich entfernte mich von ihr und versuchte, durch die Hecke zu spähen.
    »Wo ist er? Sollen wir ihm hinterher?«
    »Was ist dein Problem?«, fragte sie.
    »Vergiss es.«
    »Du ziehst schon den ganzen Nachmittag eine Fresse. Wir hätten dich nicht ausführen müssen, weißt du? Wenn du lieber zu

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