Ich kenne dich
echte Betroffenheit. Er kann sich kaum beherrschen – es juckt ihn fast vor Schadenfreude.
Emma stupst mich an, und ich schaue auf und sehe das Foto von Wilson auf dem Bildschirm – das mit dem Weihnachtshütchen. Er ist jetzt wie Chloe und wird nie älter werden. Ich bin so versunken in das Bild, so verloren in meinen eigenen Erinnerungen an das erste Mal, als ich es sah und das Plakat mit mir herumtrug, bis es zerbröselte, dass ich nicht bemerke, dass Emma die Couchlehne umklammert und wortlos den Kopf schüttelt. Sie weint. Weint und lacht gleichzeitig.
»Was hast du?«, frage ich.
Sie kannte Wilson nicht. Ich bin mir sicher, dass sie ihn nicht kannte.
Sie versucht zu sprechen, bringt aber zunächst kein Wort heraus. Sie schluckt und lächelt, und während sie lächelt, laufen ihre Augen über, und Tränen fallen vorne auf ihre Jacke.
»Gott sei Dank«, stammelt sie. »Gott sei Dank.«
Ich habe Emma noch nie weinen gesehen. Selbst bei Chloes Beerdigung stand sie neben mir mit angespanntem Kiefer und zu einem schnurgeraden Strich zusammengepressten Lippen, während die anderen Mädchen im Chor schluchzten und heulten. Ich verstehe nicht. Ich wünschte, sie würde still sein, damit ich die Sendung weiter verfolgen kann – und herausfinden, was sie zu wissen glauben und woher sie es wissen. Es war unwahrscheinlich, dass Wilson einen hübschen, nicht biologisch abbaubaren Plastik-Führerschein in seiner Hosentasche hatte, und alles ging viel zu schnell, als dass die Gerichtsmediziner was machen konnten. Woher wissen die, dass er es ist?
»Gott«, stöhnt Emma und legt das Gesicht in die Hände, während sie die Luft mit einem Seufzer zwischen ihren Fingern herauspresst.
»Was ist?«
»Geht schon wieder«, sagt sie, nimmt ihr Glas und trinkt einen großen Schluck. »Alles okay.« Sie zieht ein Tempo – nein, kein Tempo, sondern ein richtiges, umweltfreundliches Stofftaschentuch – aus ihrer Tasche und wischt sich damit über die Augen, die rot sind und, wie immer, ungeschminkt. Die Ränder sehen wund aus. Mir wird bewusst, dass sie schon eine Weile lang heult – sie saß hier und flennte, während ich schlief. Wie konnte ich einschlafen?
»Erinnerst du dich an ihn?«, fragt sie.
Mein Mund ist trocken. Ich greife nach meinem Weinglas, und meine Hand stößt gegen ihre. Sie gibt mir meinen kalten Kaffee, und ich nippe daran und reibe mir die Augen. Ich habe geträumt.
»Ich erinnere mich, dass er in den Nachrichten war«, antworte ich vorsichtig. »In der Weihnachtszeit, als er verschwunden ist.«
»Ja, sie haben die Szene nachgestellt, weißt du noch? Mit diesen beiden Mädchen. Chloe hat vor Wut geschäumt, weil sie liebend gerne selbst darin mitgespielt hätte.«
Sie lacht wieder und würgt ihren Wein herunter.
»Was hat dich denn so mitgenommen?«, frage ich, und meine Stimme klingt gereizt – überhaupt nicht mitfühlend.
»Ich hatte eine Vorahnung«, antwortet sie langsam. »Nachdem ich gesehen habe, dass der Bürgermeister die Jacke ausbuddelt, kam mir dieser Gedanke. Erinnerst du dich an die beiden Mädchen? Die überfallen wurden, als wir in der Schule waren?«
»Ja.«
»Ich dachte zuerst, es wäre eine der beiden. Eine, die nicht nur kurz sein Ding zu sehen bekam oder ein bisschen begrapscht wurde. Eine, die es schlimmer erwischte. Eine, die ermordet wurde. Ich dachte, die finden ein junges Mädchen. Eine in unserem Alter.«
»In unserem damaligen Alter.«
»Ja.«
»Es gab aber keine Vermisstenmeldung«, sage ich. »Es verschwand damals kein Mädchen. Jemand in unserem Alter wäre vermisst worden.«
Emma zuckt mit den Achseln. »Man kann nie wissen, bei manchen Eltern. Du warst erst sechzehn, als du von zu Hause abgehauen bist. Ich wette, deine Mutter hat keinen Schimmer, wo du steckst oder was du so treibst.«
»Das heißt nicht, dass ich tot bin«, sage ich, und ich bin immer noch gereizt. »Trotzdem, warum nimmt dich das so mit? Wir sind ja nicht persönlich davon betroffen.«
»Ich erinnere mich«, sagt sie. »Schwierig, es nicht persönlich zu nehmen, wenn jede Woche jemand in die Büsche gezerrt wird.« Sie meidet meinen Blick und fährt mit dem Daumen auf und ab an dem Stiel ihres Glases, als würde sie Dreck von der Oberfläche wischen. »Ich bin nicht mitgenommen, ich bin erleichtert.«
»Ja, solange es keine hübsche blonde Vierzehnjährige ist, spielt es keine Rolle, nicht? Dieser Typ … « – ich zeige auf den Fernseher – »… hatte auch Eltern.«
»Das ist
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