Ich kenne dich
nicht dasselbe«, sagt Emma. »Das weißt du.«
Eine Weile sagen wir nichts mehr. Wir schauen auf den Bildschirm, aber es gibt nichts Neues. Emmas Atem ist abgehackt, aber sie ist jetzt ruhiger und fängt nicht wieder an zu weinen.
»War eine verrückte Zeit«, sagt sie. »Die waren kurz davor, für uns alle eine Ausgangssperre zu verhängen. Und dann dein Vater … « Sie verstummt.
Denkt sie an den Nachmittag vor der Bücherei, als sie und Chloe mir Donalds Bewerbung wegnahmen? Vielleicht setzt sie die Ereignisse in ihrem Kopf zusammen – schiebt das, was sie weiß, und das, was sie heute Abend rausgefunden hat, in die richtige Reihenfolge und erkennt, was Donald da tat, während sie und Chloe mich wegen seiner Macke hänselten.
»Tut mir leid«, sagt sie und hustet. Ich glaube, sie wird mich gleich berühren, mir eine Hand auf die Schulter legen, und ich frage mich, wie ich reagieren werde, wenn sie das tut. Aber sie tut es nicht. Sie hustet wieder.
»Sorry«, sagt sie. Sie ist immer noch aufgekratzt vor Erleichterung und redet zu schnell, sodass ihre Worte leicht lallend ineinanderfließen. »Es ist jetzt sicherer, nicht? Wegen Chloe. Die Leute haben das nicht vergessen. Die lassen die Mädchen nicht mehr so viel draußen herumstreunen wie früher. Ich glaube, das ist eine gute Sache.« Emma lächelt. »Weißt du noch, wie versessen Chloe darauf war, ins Fernsehen zu kommen? Sie wäre durchgedreht, wenn sie gewusst hätte, dass ihr großer Moment ruiniert wurde von einem … « Sie will gerade »Mongo« sagen, beißt sich aber auf die Lippe. Ich kann sehen, dass es für sie dasselbe ist wie für mich. Die Zeit, die stecken geblieben war an dem Punkt, als Chloe starb, scheint sich gelöst zu haben und weiterzulaufen an diesem Abend. Sie hat erkannt, dass wir zu alt für solche Gespräche sind – es ist zehn Jahre her und nicht länger zu entschuldigen.
Terry steht vor seinem Van und führt ein Interview mit einer Friseurin, die früher in Longton einen Salon in der Nähe von Wilsons Haus besaß. Sie ist aufgebrezelt wie für eine Gala, und wenn sie mit Terry spricht, wandert ihr Blick unsicher zur Kamera, weil sie nicht vergessen kann, dass sie beobachtet wird. Sie müssen sie stundenlang warten gelassen haben – bereit, auf Sendung zu gehen, sobald die Identifizierung bestätigt wurde. Auf ihren Zähnen ist Lippenstift.
»Ich freue mich, hier zu sein«, sagt sie und lacht, als Terry sie fragt, ob sie normalerweise nicht schon im Bett liegen würde und ob die Nacht nicht ein bisschen zu frostig sei für sie. Ich denke an Zähne und Fingerabdrücke und Haare und frage mich, wie sie das gemacht haben. Bestimmt war etwas in seinem Geldbeutel oder in seiner Jacke, weil gerichtsmedizinische Untersuchungen länger dauern als nur ein paar Stunden – jeder, der CSI gesehen hat, weiß das. Trotzdem erfahre ich etwas Neues von dieser Friseurin. Wilson hatte einen Job. Das überrascht mich.
»Er war ein lieber Kerl«, sagt sie. »Er war immer gleich morgens da mit seinem Eimer und seinem Schwamm. Er hat nie um Geld gebeten – letzten Endes mussten wir darauf bestehen, ihm umsonst die Haare zu schneiden, wann immer er wollte. Das wäre sonst nicht richtig gewesen, oder?«
»Und ist Ihnen jemals etwas Merkwürdiges aufgefallen? Vielleicht die Zeiten, zu denen er auftauchte? Am späten Vormittag? Am frühen Abend? Haben Sie je beobachtet, dass er sich mit Ihren Mitarbeitern unterhielt oder mit den Kunden? Viele junge Damen gingen in Ihrem Salon ein und aus, nehme ich an.«
»Unser Geschäft lief erfolgreich«, antwortet sie strahlend. »Es war immer voll.«
Terry beißt sich auf die Lippe. Man sieht ihm an, dass er allmählich genervt ist. »Und Wilson, hat er versucht, Freundschaften zu schließen? Vor allem mit sehr jungen Frauen?«
Es ist klar, worauf er hinauswill. Die Exfriseurin schüttelt den Kopf. Sie trägt Goldkettchen, die über ihrer Brust klirren.
»Nein, nichts dergleichen. Er hat nur die Fenster geputzt und das Ladenschild. Ich habe ihn nie darum gebeten, er hatte einfach Spaß daran. Wir haben überlegt, ob wir ihn richtig bezahlen sollen, aber wir dachten, das könnte seine gute Absicht stören, und außerdem hätten wir Steuern und Sozialversicherung für ihn abführen müssen. Darum hätte es sich nicht wirklich gelohnt.«
Terry macht ein frustriertes Gesicht und spult die Telefonnummer herunter, die unten am Bildrand entlangläuft. Emma klappt den Hahn am Kanister hoch und füllt ihr Glas
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