Ich klage an
glaubwürdig, da es ein Kabinett nach dem anderen nicht geschafft hat, diese Absichtserklärungen in konkrete Maßnahmen umzusetzen. Obwohl bereits 1981 die erste Entschließung gegen häusliche Gewalt angenommen wurde, gibt es noch immer keinen kohärenten Maßnahmenkatalog. Von einer tatkräftigen Bekämpfung häuslicher Gewalt ist nichts zu sehen.
Trotz einer Vielzahl von Studien ist der niederländischen Staatsanwaltschaft nicht bekannt, wie viele Ehrenmorde in den Niederlanden verübt werden, da man diese noch immer als normale Morde registriert. Auch über die genitale Verstümmelung von Frauen und Zwangsehen wissen wir viel zu wenig. Ein zusätzliches Problem bei häuslicher Gewalt ist die je nach Kulturkreis unterschiedliche Bewertung. Gebürtige Niederländer halten häusliche Gewalt generell für moralisch verwerflich. Infolgedessen sind staatliche Maßnahmen auf kommunaler Ebene (der Umgang mit dem Täter) zuweilen sehr erfolgreich, auch wenn es dem Staat leider nicht gelingt, diese (beispielsweise in Utrecht praktizierten) kommunalpolitischen Maßnahmen in eine landesweite Offensive umzusetzen.
Die Ermordung des türkischen Mädchens Zarife in Almelo durch seinen Vater steht für einen Typus häuslicher Gewalt, der kulturell oder religiös legitimiert ist. Die Handlungsweise des Täters wird von der eigenen Gemeinschaft moralisch gebilligt. Schlimmer noch: In vielen Fällen wird der Täter zur Gewaltanwendung angestachelt. Kommt er seiner Pflicht nicht nach, kann es passieren, daß er buchstäblich aus der Gemeinschaft »weggetratscht« wird. Sobald ein Täter mit Wissen und Zustimmung seiner Familie und Freunde die Tat vollbracht hat, ist nicht nur seine Ehre gerettet, sondern steigt auch sein Ansehen in der Gemeinschaft. Für Mädchen und Frauen aus einem solchen Kulturkreis ist dies ein abschrek-kendes Beispiel, an dem die Emanzipationsbemühungen der staatlichen Behörden scheitern.
Die Wurzel des Problems besteht darin, daß vorehelicher Geschlechtsverkehr für islamische Gemeinschaften inakzeptabel ist. Deshalb müssen wir ständig kulturelle Kampagnen durchführen, um eine Diskussion über Sexualität anzustoßen. Sex vor der Ehe ist - falls er zwischen Volljährigen stattfindet -nicht strafbar. Selbst wenn man in der Frage der moralischen Akzeptanz von vorehelichem Geschlechtsverkehr unterschiedlicher Meinung ist, darf Gewalt nie die Antwort sein.
Die Hoffnung, Organisationen der Zielgruppen könnten derartige Kampagnen selbst durchführen, ist eine Illusion. Niederländische Sozialarbeiter, die auf diese Organisationen hören, kaschieren das Problem nur. Sie versichern den Eltern bedrohter junger Frauen beispielsweise, daß ihre Pflegebefohlenen keusch und unberührt sind, obwohl Mediziner denselben jungen Frauen bei der Wiederherstellung des Jungfernhäutchens behilflich sind.
Niemand will die Komplexität häuslicher Gewalt bestreiten, aber das staatliche Vorgehen gegen dieses Problem ist wirklich nur Stückwerk geblieben. Mindestens sechs Ministerien sind darin eingebunden, auf der Grundlage von einundzwanzig Gesetzen. Auf kommunaler Ebene gibt es einen Dschungel von Einrichtungen, die jeweils für einen Teilaspekt von häuslicher Gewalt zuständig sind. Die Zuständigkeiten für Kontrolle, Meldung, Untersuchung, Betreuung, Ermittlung, Strafverfolgung und Prävention verteilen sich auf eine Vielzahl von Organisationen. Keine einzige davon hat die zentrale Aufgabe, häusliche Gewalt zu verhindern oder dagegen vorzugehen. In diesem Labyrinth verliert das Opfer schnell den Überblick, da es ohnehin schon großen Mut und viel Energie aufbringen muß, sein gewalttätiges Umfeld zu verlassen - das Problem ist aus Angst vor mehr Gewalt nämlich von Scham und Geheimniskrämerei umgeben.
Im April 2003 hat das niederländische Parlament beschlossen, bis zum l. September desselben Jahres einen Maßnahmenkatalog zu erarbeiten, mit dem die Bekämpfung von häuslicher Gewalt vereinheitlicht werden soll. Fast schon traditionsgemäß wurde die Vorlage dieses Katalogs bereits zweimal verschoben.
Um gegen häusliche Gewalt vorgehen zu können, müßten folgende Maßnahmen ergriffen werden:
D Es sollte eine einzige Meldestelle für die Opfer, eine einzige koordinierende Behörde für häusliche Gewalt geben. Dieser Behörde sollte Prävention, Kontrolle, Meldung, Weiterleitung, Informationsgewinnung, Beratung, Ermittlung, Einleitung der Strafverfolgung und Nachsorge obliegen. Mit solch einer
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