Ich mach mich mal dünn - Neues aus der Problemzone
dem Alterungsprozess entgegenzuwirken. Warum soll ich in einer Zeit, in der Familie, Karriere, Nestbau, Fortbildung und Alltagsorganisation sowieso schon Unmengen an Zeit beanspruchen, auch noch stundenweisen Fettabbau mit einplanen? Die Antwort ist einfach: Die meisten Menschen schaffen es spätestens bis zu ihrem dreißigsten Lebensjahr, sich so einzurichten, dass ihr Leben überwiegend im Sitzen stattfindet.
Mein Nachbar hat mir das mal vorgerechnet: Vom Bett zum Frühstückstisch legt er nur ein paar Meter zurück. Das Auto steht gleich vorm Haus und rollt in die büroeigene Tiefgarage, wo er versucht, möglichst nah am Fahrstuhl zu parken, um schweißfrei und frisch duftend den Platz vorm PC einzunehmen.
Dorthin wird ihm sein Mittagessen geliefert. Das Örtchen und der Konferenzraum liegen gleich um die Ecke, sodass außer dem Rückweg zum Fahrstuhl am Abend keine größeren körperlichen Anstrengungen die geistige Arbeitskraft beeinträchtigen. Zum Feierabend vorm Haus einparken, aussteigen, die Tür aufschließen. Gelegentliches Pendeln zwischen Couch, Kühlschrank, Bad und Bett runden das »Bewegungs«-Programm ab. Wenn ihn dann seine Göttergattin lästigerweise auffordert, er könne doch auch mal wieder Sport treiben, ist der Ehekrach vorprogrammiert: »Das musst du gerade sagen.« Also schweigen beide einvernehmlich – und bewegen nicht mal mehr ihre Lippen.
Wer seinen Zeit- und Bewegungsmangel noch toppen möchte, schafft sich Kinder an. Die liefern nicht nur während der Schwangerschaft ein Alibi für gemütliche Rundungen bei Müttern und – auch – bei Vätern. Danach gibt es dann eine Ausredenphase (»Wenn die Kinder erst mal größer sind, dann …«), die sich beliebig verlängern lässt. Dreißig bis fünfzig Jahre sind drin – je nachdem, in welchem Alters-Abstand die Babys geschlüpft sind. Und wie schnell sie sich später selbst vermehren, um die eigenen Eltern mit Enkeln zu beglücken.
Mit den Figur-Handicaps Ehe, Büro und Baby schleifen sich naturgemäß Gewohnheiten ein. Während die Trauung vor allem bequem macht (»Prima, ich muss nicht mehr suchen!«), raubt der Job die Zeit fürs Fitnessstudio und das Baby den letzten Nerv. Da muss man schon ziemlich stark sein, um auch noch den Kampf gegen den Schweinehund aufzunehmen. Und: Mit einem Partner fürs Leben hockt in der Regel auch noch ein zweiter Vertreter der Gattung im Haus, der mahnen, nerven und sabotieren, aber auch verführen, rechtfertigen und Vorbild sein kann – für gute wie für schlechte Taten.
Meist dominieren leider die schlechten. Abnehmen mit einem unwilligen Partner sollte eigentlich die Gewährung einer Schmerzzulage nach sich ziehen. Wer’s trotzdem wagt, startet einen Doppelangriff – auf den Schweinehund und auf den Liebsten.
Männer sind Diätversuche ihrer Freundinnen gewohnt. Sie kennen das Drama meist schon von der eigenen Mutter und haben verschiedene Strategien, damit umzugehen:
Der Aussitzer trollt sich mit der Bierflasche vor den Fernseher und wartet einfach, bis es vorbei ist. Er hat schon zu oft versucht, ihr den Diätwahn auszureden oder sogar selbst abzunehmen. Er sagt nichts, will aber auch nicht provozieren und schlachtet heimlich, was er braucht.
Der Möchtegern-Versteher will das volle Mentalprogramm zur Unterstützung durchziehen. Er küsst seine Liebste für jedes verlorene Kilo und versteht nicht, warum sie das nur mit gequältem Gesichtsausdruck über sich ergehen lässt. Weil sie doch eigentlich nur eins hören will: »Du bist doch gar nicht dick.«
Der Oberlehrer steht mit dem Messbecher neben ihrer Müslischale und kontrolliert das Verhältnis von Rosinen zu Nüssen. Er fühlt sich dabei wie der Chefarzt bei der Visite. Für sein »Das sollten wir jetzt aber besser lassen!« fängt er sich ein gezischtes »Weiß ich selber« ein.
Der Saboteur droht mit schlechter Laune und Liebesentzug, wenn sie eisern bleiben will. Er raschelt mit der Chipstüte, lässt Pizzaduft durch die Wohnung ziehen und teilt die Schokolade routiniert in zwei gleich große Häufchen. Wenn sie dann nicht zugreift, erinnert er daran, wie schön es war, als das Mampfen noch den Zauber des gemeinsamen Sündigens hatte.
Der Streber macht eigentlich alles richtig: Er hilft, wo er kann; weiß genau, was wie fettarm oder kohlenhydratreduziert ist; und legt manchmal unauffällig ein paar zerkrümelte Brötchen in seine Suppe, damit er satt und sie nicht sauer wird. Er sagt dreimal am Tag: »Du
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