Ich mag dich immer noch, wie du bist - Liebe ist nicht die Antwort, sondern die Frage: Ich mag dich immer noch, wie du bist
verselbstständigt.
»Nichts, ich bleib noch etwas hier und mittags geh ich dann nach Hause.«
Plötzlich wird das Radio im Lokal lauter gedreht, als der Moderator einen neuen Song ankündigt: »… zum ersten Mal hier auf Radio 105 eine junge vielversprechende Sängerin, die schon das Internet erobert hat. Ihr Profil auf Myspace registriert täglich Hunderte von Klicks, sie hat schon mehrere Cover gesungen und heute hören wir hier zum ersten Mal ihren ersten eigenen, noch unveröffentlichten Song …«
Mary und ich schauen einander ungläubig an.
»Sie ist hier bei uns im Studio und sie heißt … Martina. Hallo Martina, willkommen bei uns.«
»Hallo und vielen Dank«, sagt Martina, und ihre Stimme verrät ein wenig, wie aufgeregt sie ist.
»Du bist noch ziemlich jung, man hat mir gesagt, du bist … neunzehn, na ja gut, also bist du doch nicht mehr ganz blutjung. Und du bist volljährig, also …«
»Also kannst du ja mal probieren, ob du bei ihr landen kannst, ganz genau«, fährt ein anderer Moderator fort. »Aber das kommt nicht gut im Radio, mach das lieber, wenn wir nicht auf Sendung sind.«
»Du denkst immer nur an das Schlechte im Menschen … Wie auch immer, Martina, du bist nicht nur ein neues, vielversprechendes Talent, sondern auch eine attraktive junge Frau. Du hast zunächst nur ein paar Videos von dir aufgenommen und diese dann auf Myspace ins Internet gestellt, stimmt das so?«
»Ja, ganz genau«, meint Martina lakonisch.
»Bist du aufgeregt?«, fragt der Moderator weiter.
»Nein«, antwortet sie, aber in einem Ton, den ich von ihr überhaupt nicht kenne. Oder besser gesagt: Martina ist aufgeregt. Plötzlich erscheint es mir idiotisch, dass ich mit ihr gestritten habe, wegen etwas, das bestimmt nichts zu bedeuten hat. Jetzt bin ich bloß noch glücklich, ich freue mich für sie, über diesen Song, wegen dem, was sie erreicht hat. Ich freue mich und bin verflucht neugierig auf das Lied, das sie noch niemandem vorgespielt hat.
Die beiden Moderatoren fragen sie noch einiges, geben spöttische Kommentare über von Zuhörern geschickte SMS ab und einer tut so, als würde er Martinas Handynummer über den Sender bekannt geben. Und während sie noch reden, beginnt die Musik.
Als der Song verklingt, sind Mary und ich sprachlos. Sie starrt in ihre Cappuccinotasse und ich kann mich nicht bewegen, das Lächeln in meinem Gesicht ist wie festgefroren. Der Text des Songs könnte eine mögliche Erklärung für ihr merkwürdiges Verhalten der letzten Tage liefern. Und ich weiß wirklich nicht mehr, was ich davon halten soll.
»Mary, denkst du das, was ich denke?«
»Martina spinnt«, sagt sie. »Das kann nicht sein, dass … Ach komm, so etwas würde sie dir doch nie antun.«
»Mary, überleg doch mal, sie ist nach San Francisco geflogen, obwohl dazu gar keine Notwendigkeit bestand. Wenn hier jemand hätte fliegen sollen, dann ja wohl ich. Dann kommt sie zurück und sagt mir, wenn ich mit Guido zusammen sein möchte, soll ich Luca freigeben, und außerdem verhält sie sich so unmöglich, wie ich es dir eben erzählt habe. Und jetzt dieses Lied.«
»Das kann nicht sein«, wiederholt Mary knapp.
»Entschuldige, und warum durften wir den Song nicht vorher hören, warum müssen wir den zufällig im Radio mitbekommen?«
»Was heißt das schon? Du weißt doch, wie Martina ist!«
»Ich habe auch geglaubt, zu wissen, wie Luca ist, aber anscheinend hab ich mich in beiden geirrt.«
Na toll, sage ich mir, das soll also die schönste Zeit meines Lebens sein? Diese einzigartigen Jahre, in denen ich nichts anderes im Kopf haben sollte, als mich zu amüsieren, und die niemals zurückkehren?
Jetzt habe ich nicht nur einen arbeitslosen Vater, einen Freund, der mich betrügt, sondern auch noch eine beste Freundin, die … die vergessen hat, dass sie meine beste Freundin ist. Ich denke an die Geschichte, die mir Guido erzählt hat, und ich wundere mich, wie genau sie mit dem übereinstimmt, was mir gerade passiert. Daher frage ich mich, ob ich jetzt auch depressiv werde, ob ich zu essen aufhören und Luca für immer verlieren werde. Ich frage mich, ob ich einen neuen Freund finden werde und dann alles wieder von vorne beginnt. Vielleicht läuft es einfach so. Es ist wie ein Karussell. Man muss eine Karte lösen, und die gilt nur für begrenzte Zeit. Du steigst ein, hast deinen Spaß, und dann musst du wieder aussteigen. Und das Karussell wechseln.
In dem Moment geht die Tür der Bar auf und ein kalter
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