Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
anders; die Beweise seiner Untreue waren ja praktisch unübersehbar.
»Erzählen Sie mir, wann Sie Mrs. Marx zum ersten Mal begegnet sind«, sagt Hicks.
»Das kann ich nicht – wir sind uns nie begegnet.«
Ist das zu fassen!
»Ich bitte Sie. Ihre Kinder gehen in denselben Kindergarten.«
»Der Kindergarten ist sehr groß«, erwidert sie. »Normalerwei se holt die Haushälterin Annabel Marx ab, und mein Sohn Jordan ist nicht in derselben Gruppe wie sie. Und der Mütterkreis-Typ bin ich auch nicht. Nein, wir sind uns nie begegnet.«
Wir wurden uns nie offiziell vorgestellt – ich lüge nicht,
denkt Stephanie, während eine Erinnerung aufflackert, deren Glut sie im Bruchteil einer Sekunde schon wieder ausgetreten hat. Dieser kühle Spätnachmittag, trübe und düster. Ein Tag, den man besser vergisst.
»Was hat Dr. Marx Ihnen über seine Frau erzählt?«, fragt Hicks.
»Sehr wenig«, sagt sie.
»Oh, bitte, Ms. Joseph. Was hat er erzählt?«
»Wie gesagt, eine Weile ließ er mich in dem Glauben, er wäre Single. Doch als ich ihn direkt fragte, schwärmte er geradezu, wie gut seine Ehe sei.«
Was ich als Herausforderung betrachtet habe,
denkt sie.
»Hatten die beiden eine Vereinbarung getroffen? Eine offene Ehe zu führen oder so etwas?«
»Es war so«, sagt Stephanie, »dass Dr. Marx sich sehr zu mir hingezogen fühlte.«
»Mhm«, versetzt Hicks gelassen. »Da Ihre Erinnerung jetzt wieder eingesetzt hat, würde ich gern wissen, wo Sie waren, als Molly Marx ermordet wurde?« Das Gespräch ist kühl und steif geworden, doch ich glaube, Hicks’ Zurückhaltung zeugt auch von einem gewissen Respekt. Irgendwas hält Stephanie zurück. Davon ist Hicks genauso überzeugt wie davon, dass sie nichts mehr sagen wird. Nicht heute. Das kann er dem leichten Zucken um ihre Augen entnehmen und der Art, wie sie den Silberring dreht, den sie anstelle eines Eherings trägt.
»Wer sagt, dass sie ermordet wurde?«, fragt Stephanie.
»Ms. Joseph, beantworten Sie bitte die Frage.«
»Ich muss in der Stadt gewesen sein«, sagt sie. »Denn ich erinnere mich, am Wochenende davon in den Nachrichten gehört zu haben.«
»Dr. Marx sagt, dass er sich an diesem Abend mit Ihnen zum Essen getroffen hat.«
Warum hat Barry das zugegeben?,
wundert sich Stephanie.
Wir sind beide sicher, dass uns niemand gesehen hat, und er hat bar bezahlt.
»Das könnte sein«, sagt sie.
» Das könnte sein?
Sie erinnern sich nicht mehr an das Dinner bei Landmarc mit Barry Marx an dem Abend, als seine Ehefrau am Fluss liegen gelassen wurde und verblutete?«
Ich ertrage das nicht. Doch Bob wirft mir einen Blick zu, der besagt: »Wenn du zuhörst, erfährst du vielleicht etwas.«
Jetzt hat er mich festgenagelt,
denkt Stephanie. »Okay, ich war mit Dr. Marx essen. Ziemlich früh am Abend. Hätten wir etwas zu verbergen gehabt, wären wir dann an einen so gut besuchten Ort gegangen?«
»Wie ich schon sagte, die Fragen stelle ich. Wo, glaubte Dr. Marx, war seine Frau zu diesem Zeitpunkt?«
»Ich habe ihn nicht gefragt.«
Es war mir egal,
denkt Stephanie.
Mein Bullshit-Detektor, fällt mir gerade auf, ist völlig verstummt.
»Ich glaube, hier sind wir fertig«, sagt Bob sanft.
»Ich muss noch bleiben.« Meine Stimme ist kaum zu vernehmen.
»Sind Sie sicher, dass Sie Mrs. Marx nie begegnet sind, Ma’am?« Hicks weiß, dass Stephanie sich darüber aufregen wird, Ma’am genannt zu werden.
»Ja.« Stephanie klingt erschöpft, gereizt, weniger selbstsicher.
»Wo waren Sie, als Mrs. Marx an ihrem Todestag mit dem Fahrrad unterwegs war?«, fragt Hicks.
»Bei meinem Kind«, erwidert Stephanie. »Hier zu Hause.«
Und damit beendet Hicks seinen Auftritt als böser Cop und verabschiedet sich. Es ist möglich, dass Stephanie die Wahrheit sagt. Das Gegenteil kann er nicht beweisen.
»Können wir jetzt bitte gehen, Molly?«, fragt Bob.
Meine Gedanken sind wieder in der Vergangenheit und versuchen, das Puzzle zusammenzusetzen.
28
Zugeständnisse, so weit wie nötig
»Kann es sein, dass Barry und seine Mutter diese Woche bei Bergdorf zum Lunch waren?«, fragte Brie, als sie mich ein paar Tage nach Barrys Rückkehr aus San Francisco anrief.
»Das hat er nicht erwähnt«, sagte ich. »Vielleicht, ja.« Alle paar Wochen trafen sich Barry und Kitty in dem kleinen Café, das gerade eben noch Platz fand in der dritten Etage der Herrenabteilung. Und ja, neulich war er mit einer Krawatte aus dunkelblauem Duchesse mit kleinen roten
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