Ich muss dir etwas sagen
was sich
wahrscheinlich nie ändern würde. Sie erzählte ihm auch nichts von dem Kollegen, den sie öfter zum Lunch traf und in den sie sich verliebt hatte. Darüber hinaus erwähnte sie mit keinem Wort, daß sie nach ihrer Trennung keine Freundschaft mit ihm
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wollte, weil sie das gefühlsmäßig nicht aushalten könne.
An einem Samstagmorgen, als beide noch im Bett lagen, ließ Sarah Daniel wissen, daß die Beziehung sie doch nicht so
glücklich mache, wie sie gehofft hatte. Daß die beiden daraufhin ein langes, höllisches Wochenende damit verbrachten, darüber zu reden, was Sarah denn brauchte und was Daniel falsch
machte, liegt auf der Hand. Diese Auseinandersetzung weckte zwar allerlei Befürchtungen bei Daniel, aber auch das Gefühl, Sarah wolle Probleme aus dem Weg räumen, um ihre Ehe auf
eine solide Grundlage zu stellen.
Einige Wochen nach dieser Auseinandersetzung kam Sarah
eines Abends später nach Hause, und als Daniel sich
beschwerte, ihm nicht zuvor Bescheid gesagt zu haben,
antwortete Sarah, sie brauche mehr Raum für sich und fühle sich von ihm in die Enge gedrängt.
„Ich bekomme langsam das Gefühl, du magst mich nicht
mehr”, meinte Daniel. Sie redeten wochenlang über dieses
Thema, und obwohl Sarah es immer wortreich bestritt, entnahm er doch ihrem Verhalten, daß es anscheinend so war.
Schließlich sagte Sarah: „Sieh mal, es steht ganz offensichtlich schlecht mit uns beiden. Irgend etwas läuft völlig schief. Wir sollten eine Therapie machen, bevor das so weitergeht.” Für Daniel bestand also weiterhin diese herzzerreißende Mixtur aus Hoffnung (eine Therapie würde die Sache ins Lot bringen) und Ablehnung und Verlassensein (sie hatten über eine Ehe geredet und sprachen nun über Therapie).
Nach einem Monat Therapie, als sie in Daniels Augen gerade erst begonnen hatten, ihre Probleme auf den Tisch zu packen, kam Sarah plötzlich mit der Idee, sie sollten doch eine Weile getrennte Wege gehen.
Sarahs Hoffnung während dieser ganzen Periode war
natürlich, Daniel möge irgendwie bemerken, wie sie immer
mehr auf Abstand ging. Bei alldem hatte sie jedoch übersehen,
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wie sehr Menschen den eigenen Bedürfnissen verhaftet sind und wie enorm dies den Blick auf neue Informationen trübt. Daniels Bedürfnis war, Sarah festzuhalten. Anstatt Sarah also
davondriften zu sehen, gab jeder Tropfen neuer Information ihm wieder Hoffnung, stimmte ihn allerdings auch traurig und
machte ihm Sorge.
Wie man Dinge erschwert, indem man sie erleichtern will Wer eine besonders unangenehme Wahrheit äußern muß,
macht leicht den Fehler, seine Geschichte nur „häppchenweise”
zu erzählen. So hofft man, daß die betreffende Person diese Häppchen akzeptiert, ohne einem das Leben schwer zu machen, wie es sicher der Fall wäre, wenn sie die ganze Wahrheit auf einmal verdauen müßte. Aber wer die chinesische Wasserfolter anwendet, darf sich nicht wundern, wenn der Betreffende
reagiert wie Daniel.
Man glaubt dem anderen nicht mehr. Wenn es schließlich zum eigentlichen Punkt kommt und wie hier - die Trennung
ausgesprochen wird, rettet man sich - wie Daniel - in die
Hoffnung, die man sich bei jedem Tropfen Wahrheit machte,
mit der man zuvor gequält wurde. Daniel versuchte mit allen Mitteln die Trennung zu verhindern. Er stritt sich mit ihr, als sie ausziehen wollte. Er schlich um ihr neues Appartement, als sie schließlich ausgezogen war. Als er von dem Kollegen hörte, mit dem sie sich immer traf, ging Daniel zum Restaurant und
machte ihr eine Szene.
Es ist leicht, Daniel für einen Dummkopf zu halten, der
einfach nicht loslassen konnte. Aber Sarah hatte mit jedem Tropfen Wahrheit erneut Verwirrung gestiftet und ihn
gewissermaßen zum Trottel gestempelt. Daniel selber
betrachtete sich nicht als einen Menschen, der nicht loslassen kann, sondern vielmehr als jemanden, der Grund zur Hoffnung hatte. Schließlich hatten sie beide doch die ganze Zeit hindurch
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über Dinge gesprochen, die er ändern und Bedürfnisse, die er erfüllen konnte, und sie hatten sogar therapeutisch daran
gearbeitet, die Beziehung zu verbessern. So konnte er die
Trennung einfach nicht ernst nehmen.
Sarah hätte Daniel die ganze Wahrheit auf einmal sagen
können, ohne ihn zu verwirren oder gar das Gegenteil glauben zu machen. Sie hätte ihm unverzüglich sagen müssen, daß sie sich von ihm trennen wollte und ihre Beziehung definitiv vorbei sei.
Wie man diesen Fehler vermeidet
Niemand
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