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Ich muss dir etwas sagen

Ich muss dir etwas sagen

Titel: Ich muss dir etwas sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Foster
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Klassentreffen gelaufen ist. Was sagen Sie ihr?
    Und noch ein anderes Beispiel: Angenommen, Sie sind
    überfordert von der Arbeitsfülle, dem Druck und den vielen Verantwortlichkeiten, die Ihr Job mit sich bringt. Sie können kaum noch die Fassade wahren und stehen kurz vor einem
    Nervenzusammenbruch. Sie möchten Ihrem Chef sagen, wie Sie sich fühlen beziehungsweise daß er zuviel von Ihnen verlangt und die Arbeitslast verringern sollte. Aber dann findet ein Meeting statt, bei dem es auch um Ihre Leistung geht, wo er sagt, Sie hätten Ihr Leistungsoptimum noch nicht erreicht, und Einschnitte in Ihrer Abteilung andeutet. Was erzählen Sie nun?
    Oder das Beispiel von der aufgeschobenen Hochzeit: Sie
    wollen sie zwar verschieben, aber die Vorbereitungen und Pläne sind wie in Stein gemeißelt. Sie befürchten Ihrer Verlobten das Herz zu brechen, wenn Sie jetzt etwas sagen, und auch, daß Sie
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    sich Ihre künftigen Schwiegereltern zu Todfeinden machen und daß all Ihre Freunde Sie für einen Schurken halten werden.
    Eines Tages meint Ihre Verlobte, der Gedanke an die Ehe
    mache sie ziemlich nervös. Was sagen Sie in diesem Fall?

    Die Wahrheit als Dilemma

    Die Wahrheit sagt man, damit die Dinge sich zum Besseren
    wenden - auf diesem Grundgedanken beruht das vorhandene
    Buch. Wir alle leben nach bestimmten moralischen Prinzipien, was nicht heißt, daß es sich dabei um Zwangsvorstellungen
    handelt. Stets die Wahrheit zu sagen ist wohl ein absoluter Wert, bedeutet jedoch nicht, sie immer und unter allen Umständen auch verkünden zu müssen. Wie bereits in dem Kapitel „Sagen oder Nicht-sagen?” besprochen, gibt es durchaus Situationen (auch wenn sie weit seltener vorkommen, als konfliktscheue Zeitgenossen gerne hätten), in denen es besser ist, die Wahrheit zu verschweigen.
    Was tun? Ist völliges Stillschweigen die einzige Alternative?
    Wenn man die ganze Wahrheit nicht sagen kann, sagt man dann am besten gar nichts?
    Genau zwischen diesen beiden Alternativen sind die meisten Menschen gefangen: Entweder sie erzählen die ganze
    Geschichte, einschließlich aller schmerzhaften Details, oder sie halten den Mund und sagen kein Wort, womit allerdings auch Probleme verschwiegen werden, die man besser besprechen
    sollte.
    Die Wahrheit ist immer dann ein Dilemma, wenn einzelne
    Ereignisse oder Umstände mit Bedürfnissen und Problemen
    „verquirlt” sind wie Eiweiß und Eigelb in einem Omelette -
    nicht mehr auseinanderzudividieren. Also sitzt man auf seinem Geheimnis und seinen Gefühlen, auf den Bedürfnissen und all den Einzelheiten und fühlt sich hin- und hergerissen zwischen
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    dem Wunsch, mit der Sprache herauszurücken, und der Furcht, eine Katastrophe heraufzubeschwören.
    Ich weiß, wie viele Menschen mit diesem Dilemma
    konfrontiert sind, weil ich in meiner Praxis tagtäglich mit den Folgen konfrontiert werde: ein grauenhaftes Chaos, wie bei dem Mann aus dem Beispiel mit dem Klassentreffen, der seiner Frau erzählte, er hätte beim Tanzen mit seiner alten
    Klassenkameradin eine Erektion gehabt. Seine Frau regte sich dermaßen darüber auf, daß sie einen Riesenstreit vom Zaun
    brach und ihren Mann schließlich hinauswarf. Oder wie bei dem Mann, der an der Arbeit Probleme bekam und endlich einen
    Nervenzusammenbruch erlitt, weil er sich nicht traute, etwas über den Druck und die vielen Überstunden zu sagen.
    Konfrontiert mit einem derartigen Dilemma, sagen die meisten Menschen also entweder zuviel oder zuwenig - sprich: nichts.

    Im Konflikt mit der Wahrheit

    Unsere außerordentlich komplexe Gefühlslage in dieser Hinsicht kann also die Wahrheit zum Dilemma machen. Konfliktscheue
    Menschen fühlen sich bedeutend sicherer, wenn sie gar nichts sagen. Außerdem erinnern die Erfahrungen der Vergangenheit uns dauernd daran, es wäre klüger, den Mund zu halten. Aber zugleich betrachten wir die Wahrheit als das höchste Gut und hassen uns selber dafür, wenn wir sie verschweigen. Mit dem Schweigen wächst der innere Druck allerdings, und wenn wir aufgeregt sind, platzen wir auf einmal mit der
    unausgesprochenen Wahrheit heraus.
    Wie dem auch sei, über eins sind wir uns wahrscheinlich alle einig: Wenn es um die Wahrheit geht, ist Manipulation
    schändlich und charakterlos. Aber eben diese Überzeugung führt uns mitten in das besagte Dilemma: Wer sein Stillschweigen bewahren will, ist nicht feige, sondern weise; wer die Wahrheit
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    auf den Tisch packt, ist einfach nur ehrlich, was immer dann

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