Ich muss dir etwas sagen
passiert. Aber ein Mittelweg zwischen diesen beiden
„anständigen” Möglichkeiten wäre schändlich - das ist
Manipulation und nur etwas für ehrlose Charaktere. Diese
Denkweise beraubt uns jedoch einer wichtigen Ressource.
Informationsbedürfnis
Menschliche Beziehungen sind ohne Informationsbedürfnis
nicht denkbar.
Eltern verstehen das intuitiv. Wenn man seine Rolle ernst
nimmt, weiß man, wie es dem Kind geht. Man ist darüber
informiert, wie es in der Schule läuft, ob es mit anderen Kindern zurechtkommt und ob es sich wohl fühlt. Ohne diese
Information kann ein kleines Problem schnell groß werden und eine Lösung unmöglich machen. Andererseits gibt es auch
Informationen, die man sicherlich nicht braucht - wie jeder weiß, der schon einmal einen Streit zwischen Kindern schlichten mußte, bei dem eines das andere zum Beispiel „böse
angeschaut” hatte. Die Einzelheiten können höchstens aufregen, aber nichts zur Lösung beitragen.
Informationsbeschaffung
Es ist immer gut, zu bedenken, auch und gerade wenn man es mit einer brisanten Wahrheit zu tun hat, daß sich leicht enorme Probleme entwickeln, wenn wir uns wichtigen Menschen
wesentliche Informationen vorenthalten.
Der Mann, der beim Tanzen eine Erektion bekam, hatte es
womöglich nur mit einer vorübergehenden, natürlichen
sexuellen Erregung zu tun. Es wäre allerdings auch möglich, daß er in seiner Ehe ein entsprechendes Defizit verspürte. Und eben dieses Defizit enthält wahrscheinlich eine ganz wesentliche Information, mit der sich eine wachsende Distanz zwischen den Ehepartnern verhindern läßt. Ein Mittelweg zwischen der
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Aussage: „Ich wollte mit der Frau schlafen” und dem
Verschweigen des ganzen Vorfalls könnte seine Ehe retten.
Er brauchte seiner Frau nicht unbedingt zu sagen, daß er beim Tanzen mit einer anderen eine Erektion hatte. Damit
katapultierte er seine Frau lediglich in eine Umlaufbahn aus Eifersucht und Unsicherheit, was sie dazu trieb, nach allerlei unwichtigen Einzelheiten zu fragen. Aber etwas sollte er ihr schon sagen.
Oder der Mann, der von seiner Arbeitslast überwältigt wurde: Es wäre wahrscheinlich unklug, dem Chef zu sagen, daß er es nicht schafft, denn solche Leute werden ganz schnell ersetzt.
Aber ein Mittelweg zwischen der Aussage: „Ich schaffe es
einfach nicht” und dem Verschweigen seiner Verfassung könnte seinen Job und seine Karriere retten. Er müßte seinem Chef ja nichts erzählen, was ihn als Versager hinstellte. Das trüge ihm nur einen schlechten Ruf ein, den er so leicht nicht mehr los würde - wenn überhaupt. Aber etwas sollte er ihm schon sagen.
Virtuelle Äußerungen
Die Wahrheit virtuell zu äußern könnte eine Lösung sein. Das ließe sich vergleichen mit der virtuellen Welt, wie sie im Computer generiert wird: 3-D-Videobrillen, die mit Computern verbunden sind, können Menschen in eine dreidimensionale
Welt versetzen - die virtuelle Welt. Wer also eine Wahrheit virtuell äußert, spricht über eine Wahrheit, nicht aber über die Wahrheit. Die betreffende Person erfährt etwas Reelles, aber nicht die eigentliche Realität. Man vermittelt wichtige
Informationen, läßt aber jene Teile unerwähnt, die Chaos
hervorrufen. Auf diesem Weg löst man Probleme, ohne gleich neue zu schaffen, man befreit sich von angestautem Druck, ohne eine Bombe platzen zu lassen.
Am einfachsten geht man nach dem bewährten Prinzip vor:
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Wer die Wahrheit äußert, sollte die dadurch geweckten
Bedürfnisse befriedigen. Nur lassen wir uns diesmal vornehmlich von den Bedürfnissen lenken und klammern jene
Teile der Wahrheit aus, die wir gemäß dem Kapitel „Sagen oder Nicht-Sagen?” weglassen können, also die Teile, die nur
Schmerz verursachen und nicht weiterhelfen.
Angenommen, Sie wären jener Mann, der sich fragt, ob er
seiner Frau etwas von der Erektion erzählen sollte oder nicht.
Sie und Ihre Partnerin waren immer ehrlich zueinander, aber wenn Sie ihr das erzählen, flippt sie garantiert aus. Dennoch sollte eine Wahrheit gesagt werden, und diese ergibt sich aus der Frage: Auf welches Bedürfnis weist die Wahrheit hin, die ich nicht sagen kann? Sie müßten sich also fragen, was Ihre sexuelle Erregung bedeuten könnte. Was wünschen und
vermissen Sie so sehr, daß dieser Tanz mit einer Frau, die Sie kaum kennen, Sie so erregt hat? Vielleicht fällt Ihnen der Grund nicht sofort ein, aber irgend etwas ist nicht ganz so, wie es sein sollte.
Sie
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