Ich muss Sie küssen, Miss Dove
einfach. Die Zeit vergeht! Du bist nun auch schon sechsunddreißig, und in ein paar Jahren wird es zu spät sein. Dann bist du vierzig, und wir alle wissen, was Männern in dem Alter widerfährt, den Ärmsten."
Harry verschluckte sich an seinem Wein.
Louisa schien das nicht zu merken. „Du musst dir sofort eine Gattin suchen."
Harry sagte sich, dass seine Mutter gar nicht wusste, wovon sie redete. „Warum soll ich mir die Mühe machen, eine Frau zu suchen, wenn meine Schwestern sich schon so anstrengen, das für mich zu tun?"
„Was passiert mit Männern ab vierzig?", wollte Phoebe wissen.
„Das ist jetzt nicht wichtig", teilte Diana ihr mit, und ehe Phoebe weitere Fragen stellen konnte, brachte sie das Gespräch wieder auf die Dillmouth-Mädchen. „Weißt du, Phoebe, ich glaube, du hast recht. Lady Melanie wäre eine viel bessere Wahl. Manche sagen, mit achtundzwanzig sei sie schon ein wenig angestaubt, und sie ist auch nicht so hübsch wie Florence, aber sie hat schwarzes Haar, und Harry hegt doch eine Vorliebe für diese Haarfarbe. Außerdem ist sie die Intelligentere der beiden Schwestern."
„Intelligent?", fragte Harry erstaunt. „Mit Melanie Dillmouth kann man überhaupt kein Gespräch führen. Sie macht kaum den Mund auf, daher frage ich mich, wie du dir da ein Bild über ihre geistige Verfassung machen kannst."
„Nur bei dir macht sie den Mund nicht auf", widersprach Diana. „Das ist wohl verständlich in Anbetracht ihrer Gefühle, obwohl ich natürlich nicht sicher bin, ob diese Empfindungen sie zu einer guten Ehefrau für dich machen oder nicht."
„Wovon redest du eigentlich?"
Seine älteste Schwester stöhnte auf. „Ach, Harry! Manchmal bist du wirklich begriffsstutzig."
„Ohne Zweifel", stimmte er zu. „Ich bin schließlich ein Mann. Aber was habe ich an mir, dass Melanie Dillmouth in meiner Gegenwart so wortkarg wird?"
„Sie ist natürlich in dich verliebt! "
„Wie bitte?" Harry war verblüfft. „Sei nicht albern."
„Doch, das ist sie”, beharrte Diana. „Sie war es immer schon. Seit du damals ihre Katze gerettet hast."
Er hielt im Essen inne und sah von einer zu anderen. Seine fehlende Erinnerung an das Ereignis musste sich in seinem Gesichtsausdruck widerspiegeln. Auf seinen fragenden Blick hin ertönten vier resignierte Seufzer und ein vielsagendes Räuspern. Umgeben von lauter Frauen, ohne seinen Vater, der schon seit zwanzig Jahren tot war, und ohne einen einzigen Bruder zur Unterstützung, hatte Harry bereits vor langer Zeit gelernt, dass es unmöglich war, weiblichen Erwartungen gerecht zu werden. „Du bist verrückt, Di", sagte er und aß weiter. „Ich würde niemals eine Katze retten. Ich verabscheue Katzen."
„Ich fasse es nicht, dass du dich daran nicht entsinnst", schalt Diana. „In dem Sommer, als die Dillmouth-Mädchen bei uns in Marlowe Park waren. Du kamst damals gerade von Cambridge zurück. Melanies Katze geriet in eine Rattenfalle, und du hast sie daraus befreit."
Eine vage Erinnerung kam ihm. „Um Himmels willen, das ist so lange her! Mindestens fünfzehn Jahre!"
„Sie hat es nie vergessen", versicherte Diana. „Sie hat geweint, als du Consuelo geheiratet hast."
„Das hätte ich auch getan, wenn ich geahnt hätte, was mir bevorstand."
Niemand schien das amüsant zu finden. Harry fragte sich, wie seine Familie bloß auf den Gedanken kam, die Vorstellung, dass Melanie Dillmouth seinetwegen weinte, könnte irgendwelche romantischen Anwandlungen in ihm auslösen. Das einzige Gefühl, das so etwas in ihm auslöste, war das Bedürfnis wegzulaufen.
„Was ist mit Elizabeth Darbury?", schlug Phoebe vor. „Sie hat auch schwarzes Haar."
„Gutes Erbgut in der Familie", lobte Antonia. „Die Darburys haben in jeder Generation mindestens zwei Söhne."
„Nein, Lizzie Darbury passt nicht", widersprach Vivian. „Sie versteht nie Harrys Scherze. Sie starrt ihn immer nur an, als sei er nicht ganz bei Trost, und lacht nie."
„Und gerade das ist wichtig", meldete Louisa sich zu Wort. „Männer hassen es, wenn wir sie nicht amüsant finden, vor allem Harry. Es regt ihn ziemlich auf."
„Es regt mich gar nicht auf. Und ich verstehe nicht, weshalb meine Schwestern so entschlossen sind, eine Frau für mich zu finden.”
„Weil du dich dabei so ungeschickt anstellst", gab Vivian schlagfertig zurück, was ihr ein zustimmendes Kopfnicken von den anderen Damen am Tisch einbrachte.
Unfähig, dem zu widersprechen, und zu gutmütig, um zu bemerken, dass,
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