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Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen

Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen

Titel: Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Rautenberg
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sich in den Garten, wo er seinem Vater helfen wollte, einer kranken Birke die letzte Ehre zu erweisen.
    Konnte man aus Birkenholz Särge zimmern?
    Günther schloss die Küchentür. Und grinste. Mir brach schon wieder der Schweiß aus.
    Sie trat an die Spüle und zog sich ein paar Gummihandschuhe an. Aha, dachte ich, das war’s. Sie will keine Fingerabdrücke hinterlassen. Niemand würde je beweisen können, dass sie die tödliche Klinge gegen mich erhoben hatte. Es würde wie ein Unfall aussehen! » Juli, nein, die ist ausgerutscht und sehr unglücklich gefallen. Ja, in das Messer. Das ist aber auch ein ungeschicktes Mädchen, diese Juli!«
    Ich wartete darauf, dass mein Leben in Bildern an mir vorbeizog, und warf einen letzten sehnsuchtsvollen Blick durchs Fenster nach draußen. Adieu, schnödes Leben! Auf Wiedersehen, Welt! Das war’s, das Lämmchen wird jetzt zur Schlachtbank geführt und fügt sich seinem Schicksal.
    » Juli– das ist ein schöner Name«, sagte Günther. Ich nickte und stellte mir die Inschrift auf meinem Grabstein vor: Nie besungen, Efeublüte, nur umsummt – R.I.P. Juli R.
    » Ich finde, Sie sollten mich nicht länger Frau Paulsen nennen.« Stimmt, dachte ich, Donna Corleone ist ja auch hübsch. » Wenn ich Sie Juli nenne, dürfen Sie mich natürlich auch beim Vornamen nennen.«
    Ach du liebe Zeit, bloß nicht!, dachte ich und schluckte schwer.
    Günther streckte mir die gummibehandschuhte rechte Hand hin. » Ich heiße Gudrun.«
    Günther. Gudrun. Günther. Gudrun. Das konnte nicht gut gehen!
    » Güdrün«, sagte ich und stellte bemerkenswert hirnamputiert fest: » Ich heiße Juli.«
    Günther schüttelte sich vor Lachen. » Aber das weiß ich doch, Juli!« Sie hielt weiter meine Hand fest und klopfte mir mit der Linken auf die Schulter. » Sie waren ja schon als Heranwachsende so erfrischend humorvoll, Juli. Wissen Sie, das mochte ich schon immer an Ihnen!«
    Is klar! Wenn es überhaupt etwas gab, was du jemals an mir gemocht hast, dann meine vollkommene Abwesenheit.
    Mir kam Günthers Verhalten verdächtig vor. Wenn das eine Taktik sein sollte, dann war sie deutlich zu raffiniert für mich. Ich entschied mich, erst einmal abzuwarten.
    Günther drückte mir einen Sparschäler in die Hand und mich auf die Küchenbank vor zwei Kilo weißen Spargel. Sie selbst nahm sich ein kleines Bürstchen (eindeutig keine bedrohliche Mordwaffe, es sei denn, sie hatte vor, mir qualvoll die Haut vom Körper zu bürsten) und fing an, eine enorme Menge Erdbeeren im Waschbecken zu putzen. Und dann startete sie die zweite Runde des Geplänkels.
    » Erzählen Sie mal, wie läuft’s so mit Ihrer Freiberuflichkeit?«
    Gut, seit dein Sohn meine Miete bezahlt, lag mir auf der Zunge, aber ich entschied mich für die schwiegerelternkompatible Variante: » Mal so, mal so.«
    » Gehört ja schon auch was dazu, sich in so jungen Jahren selbstständig zu machen.«
    » Ja«, stimmte ich Günther zu und durchforstete mein Gehirn nach einigen nichtssagenden, konversationsgeeigneten Floskeln. » Muss man der Typ für sein.«
    » Eindeutig«, stimmte Günther mir zu und blickte mich– ich wage es kaum zu sagen: freundlich– von der Seite an.
    » Ich bewundere Sie für Ihren Mut.«
    An dieser Stelle wollte ich gerne aus der Konversation aussteigen. Bewunderung? Von Günther? Alles, was recht ist, aber das war mir jetzt wirklich ein paar Gramm zu viel des Guten.
    » Meinen Mann habe ich ja kennengelernt, da war ich gerade mit der Hauswirtschaftsschule fertig.«
    Hauswirtschaftsschule. Das erklärt einiges. Eine Schule für höhere Töchter, die die Kunst des niederen Dienstes erlernen. Richtig nähen, richtig kochen und vor allem: richtig putzen. Mir dämmerte, wieso Günther meine Wohnung blitzeblank bekommen hatte, wo ich normalerweise schon am streifenfreien Fensterputzen scheiterte. Gelernt ist gelernt!
    » Ich wollte dann eigentlich eine Ausbildung machen, als Sekretärin. Damals gab es ja noch die Sekretärinnenschule, wissen Sie. Aber dann haben wir geheiratet. Und nach den zwei Fehlgeburten…«
    O mein Gott. Das Schwiegermonster zeigte menschliche Züge.
    » Als Konrad dann da war, habe ich meine ganze Kraft auf ihn konzentriert. So ein Kind macht ja auch Arbeit.«
    Wenn man Günther so reden hörte, konnte man meinen, sie erzählte von der Nachkriegszeit. Soweit ich weiß, ist Konrad in den Achtzigern geboren. Da war das Betreuungsangebot für kleine Kinder zwar noch nicht so ausgebaut wie heute, aber es gab

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