Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden
Wir sind uns erst vor wenigen Tagen zum ersten Mal begegnet, im Hof des Gerichtsgebäudes, fast an der gleichen Stelle, wo mir kurz zuvor Shada über den Weg gelaufen ist.
Erst hat er mich gefragt, ob er ein Foto von mir machen darf, und dann sind wir in ein kleines Restaurant ganz in der Nähe des Gerichts gegangen. Mit einem Kugelschreiber und einem Notizblock in der Hand hat er mir viele Fragen gestellt: über meine Eltern, über meine Ehe, über Khardji, über die erste Nacht … Mit Schamröte im Gesicht habe ich ihm meine Geschichte erzählt. Aber als ich sah, wie er schmerzlich das Gesicht verzog, als ich den Blutfleck auf dem Laken erwähnte, da wusste ich, dass er Mitgefühl hatte. Ich konnte sehen, wie er unwillkürlich mit seinem Kugelschreiber auf dem Tisch trommelte. Sosehr er sich bemühte, seine Gefühle zu verbergen, ich bemerkte doch, dass ihm die Geschichte zu Herzen ging. Sie machte ihn zornig, er litt mit mir mit, das war nicht zu übersehen.
»Aber du bist doch noch so klein! Wie konnte er nur?«, murmelte er.
Seltsam, dass ich diesmal nicht zu weinen anfing. Nach einigen Minuten Schweigen fuhr ich fort:
»Ich wollte draußen spielen, wie alle Kinder in meinem Alter. Aber er hat mich geschlagen und mich gezwungen, mit ihm ins Schlafzimmer zu gehen, wo er schmutzige Sachen von mir verlangt hat. Er hat mich immer nur mit Schimpfwörtern angeredet.«
Als wir uns verabschiedeten, war Hameds Notizblock ganz vollgekritzelt. Er hat alles aufgeschrieben, jedes Wort. Es ist ihm dann sogar gelungen, sich Einlass im Gefängnis zu verschaffen und mit seinem Handy Fotos von
Aba
und dem Monster zu machen. Einige Tage später erzählte mir Shada, dass sein Artikel erschienen ist und im Jemen einen ziemlichen Wirbel ausgelöst hat. Hamed ist der erste Journalist, der meine Geschichte erzählt hat. Erst war mir das alles peinlich, das ist wahr. Aber heute weiß ich, dass ich ihm viel verdanke.
Unter Blitzlichtgewitter betrete ich den Gerichtssaal.
Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Eskortiert von zwei Soldaten mit schwarzem Barett und olivgrüner Uniform, erkenne ich
Aba
und …
ihn
. Beide sehen wütend aus. Das Monster schlägt die Augen nieder, als es an uns vorbeigeht, dreht sich dann aber plötzlich nach Shada um.
»Sie sind wohl stolz, wie? Ich habe kein richtiges Hochzeitsfest gehabt. Aber dafür haben Sie jetzt gesorgt, für ein richtiges Fest!«, zischt er sie an.
Wie kann er es wagen, so mit ihr zu reden? Kommt es nun so, wie ich befürchtet habe? Doch Shada bleibt erstaunlich ruhig. Sie senkt nicht einmal den Blick. Ihre Stärke beeindruckt mich. Sie braucht nicht wild herumzufuchteln, um ihre Empfindungen zum Ausdruck zu bringen. Ihr Blick zeigt deutlich genug, welche Verachtung sie für ihn empfindet. Nur ein Blick, das ist alles. Ich habe in den letzten Tagen viel von ihr gelernt.
»Hör einfach gar nicht hin«, rät sie mir.
Sosehr ich versuche, nach dem Vorbild von Shada meine Gefühle unter Kontrolle zu halten, es will mir nicht gelingen. Jedenfalls noch nicht. Keine Chance, mein Herz beginnt zu klopfen. Ich hasse ihn so sehr, nach allem, was er mir angetan hat! Ich hebe den Kopf, und mein Blick kreuzt den von
Aba
. Er sieht gequält aus. Ich muss mich zusammenreißen. Aber ich habe Angst, dass er mir sein ganzes Leben lang nicht verzeihen wird. Die Ehre, sagt er. Die Ehre. Wenn ich sein Gesicht sehe, fange ich an zu begreifen, was dieses schwierige Wort sagen will. Ich sehe in seinen Augen Wut und Scham zugleich. Die vielen Kameras, die sich auf ihn richten. Ich bin so zornig auf ihn, und dennoch habe ich Mitleid. Ich kann nicht dagegen an. Vor Männern hat man eben Respekt, so ist das im Jemen.
»Was für ein Gewühle!«, entfährt es einem Saalordner. »So voll war es hier im Gerichtssaal noch nie!«
Schon geht das Blitzlichtgewitter wieder los. Anscheinend ist eine wichtige Persönlichkeit gekommen. Es ist Mohammad al-Ghazi, der Vorsitzende des Gerichts. Ich erkenne seinen weißen, hinter dem Kopf zusammengeknoteten Turban sofort wieder. Er hat einen schmalen Schnurrbart und einen kleinen Kinnbart. Über seiner weißen Tunika trägt er eine graue Weste. In seinem Gürtel prangt der
jambia
.
Ich schaue ihn an, verfolge jede seiner Gesten. Jetzt tritt er hinter den Richtertisch, auf dem die vielen Mikrofone der Fernsehsender
und Radiostationen stehen.
Er setzt sich, legt einen Stapel Aktenordner vor sich hin. Er sieht aus wie der Staatspräsident, der gleich eine Rede
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