Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden
hält. Richter Abdo setzt sich an seine Seite. Wie gut, dass sie da sind, um mir zu helfen! Ich kann immer noch nicht glauben, dass das alles nun Wirklichkeit ist.
»Im Namen Gottes des Allmächtigen und Barmherzigen erkläre ich die Sitzung hiermit für eröffnet«, sagt al-Ghazi und fordert uns mit einer Geste auf, dem Richtertisch näher zu kommen.
Shada gibt mir ein Zeichen, ihr zu folgen. Auch
Aba
und das Monster treten näher. Ich spüre die unruhige Menge hinter uns. Ein Teil von mir fühlt sich erstaunlich stark. Doch der andere Teil, den ich nicht unter Kontrolle bekomme, würde sich in diesem Augenblick am liebsten in eine kleine Maus verwandeln. Ich stehe mit gekreuzten Armen da und bemühe mich, nicht einfach umzufallen.
Nach einer Weile ergreift schließlich Richter Abdo das Wort:
»Wir haben es hier mit dem Fall eines Mädchens zu tun, das ohne seine Zustimmung verheiratet worden ist. Nach Abschluss des Ehevertrags wurde sie mit Gewalt in den Bezirk Hajjah gebracht. Dort hat sie ihr Mann sexuell missbraucht, denn sie hat noch nicht die Pubertät erreicht und war für diese Art von Beziehung noch gar nicht bereit. Er hat sie nicht nur missbraucht, er hat sie auch geschlagen und beschimpft. Daher ist sie heute hier erschienen und bittet darum, geschieden zu werden.«
Der große Augenblick, den ich so lange erwartet habe, rückt näher. Der Augenblick, in dem die Schuldigen bestraft werden. Wie in der Schule, wenn die Lehrerin uns in die Ecke stellte. Vorausgesetzt, ich gewinne gegen das Monster, vorausgesetzt, er willigt in die Scheidung ein!
Mohammad al-Ghazi klopft einige Mal mit einem kleinen Hammer auf den Tisch.
»Hören Sie mir gut zu«, herrscht er das Monster an, das ich mehr als alles auf der Welt hasse. »Stimmt es, dass Sie vor zwei Monaten dieses Mädchen geheiratet und mit ihr geschlafen, sie auch geschlagen haben? Ist das wahr? Ja oder nein!«
Er fängt an zu blinzeln, ehe er antwortet:
»Nein, das stimmt nicht! Sie und ihr Vater haben in die Heirat eingewilligt.«
Was höre ich da? Wie kann er es wagen? So ein Lügner! Ich hasse ihn!
»Haben Sie mit ihr geschlafen? Haben Sie mit ihr geschlafen?«, wiederholt al-Ghazi.
Eisiges Schweigen senkt sich über den Saal.
»Nein!«
»Haben Sie sie geschlagen?«
»Nein! Ich habe nie Gewalt angewendet.«
Ich klammere mich an den Mantel von Shada. Wie kann er so dreist sein, der Kerl mit seinen gelben Zähnen, seinem schiefen Lächeln und seinen struppigen Haaren? Wie kann er nur einfach so lügen? Das kann ich nicht durchgehen lassen. Ich muss etwas sagen!
»Er lügt!«, entfährt es mir.
Der Richter kritzelt etwas auf sein Blatt. Dann heftet er seinen Blick auf meinen Vater.
»Waren Sie mit dieser Heirat einverstanden?« »Ja.«
»Wie alt ist Ihre Tochter?«
»Meine Tochter ist dreizehn.«
Dreizehn? Niemand hat je zuvor gesagt, ich sei dreizehn! Seit wann bin ich denn dreizehn? Ich dachte immer, ich sei acht, neun oder höchstens zehn Jahre alt! Ich zupfe an meinen Fingern, um die Fassung zu bewahren. Dann höre ich wieder genau hin.
»Ich habe meine Tochter verheiratet, weil ich Angst hatte«, sagt mein Vater. »Ich hatte Angst …«
Seine Augen sind gerötet. Angst? Angst vor was?
»Ich habe sie verheiratet, weil ich Angst hatte, dass sie entführt wird, wie ihre beiden großen Schwestern …«, fährt er fort und hebt die Fäuste zum Himmel. »Schon zwei Töchter sind mir von einem Mann genommen worden! Entführt! Das ist schlimm genug. Er ist jetzt im Gefängnis.«
Ich verstehe nicht richtig, was er da sagt. Seine Antworten sind ausweichend und gewunden. Auch die Fragen des Richters werden immer unverständlicher. Für mich ist es alles andere als einfach, solchen Gesprächen zu folgen. Worte, Worte, nichts als Worte. Erst leise Worte, dann harte und immer härtere, wie Steine, die man an eine Mauer wirft, so dass sie zerspringen.
Unmerklich wird der Wortwechsel immer schneller, der Ton aggressiver. Im Saal wird gemurmelt. Mein Herz klopft immer mehr.
Das Monster murmelt Mohammad al-Ghazi etwas zu, das ich nicht verstehe. Der klopft mehrmals energisch mit dem Hammer auf den
Tisch.
»Auf Antrag des Ehemanns wird die Sitzung unter Ausschluss der Öffentlichkeit fortgesetzt«, verkündet er.
Er macht uns ein Zeichen, ihm in einen anderen Raum zu folgen. Hier gibt es kein Publikum. Ohne die Menschenmenge fühle ich mich gleich besser. Wo es hier doch um ganz persönliche Dinge geht. Doch es ist noch nicht vorbei mit
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