Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden
entdecken. Ich fühle mich glücklich. Es ist der schönste Tag in meinem Leben.
»Wie sehe ich aus, Shada?«
»Schön, wunderschön!«
Zur Feier meines Sieges hat mir Shada ganz neue Kleider geschenkt. In meinem neuen rosa Sweatshirt und meiner mit bunten Schmetterlingen bestickten Jeans komme ich mir wie eine ganz neue Nojoud vor. Ich gefalle mir mit meinen langen, lockigen Haaren, die ich mit einem grünen Band zu einem Knoten gebunden habe. Vor allem deshalb, weil ich zur Feier des Tages mein schwarzes Kopftuch ablegen durfte, weshalb mir auch alle Komplimente über meine Frisur machen.
Wir sind mit Hamed von der »Yemen Times« und einigen anderen Journalisten verabredet. Das dreistöckige Gebäude macht großen Eindruck auf mich. Ein uniformierter Portier bewacht den Eingang. Wie vor den Villen in den schicken Vierteln von Sanaa, die ich so gerne zeichne! Noch ganz benommen, steige ich langsam die Stufen der großen Marmortreppe hinauf und halte mich dabei am Holzgeländer fest. Die Fenster sind so blank geputzt, dass die Sonnenstrahlen sich in kleinen gelben Kreisen an den Wänden abzeichnen. Ein angenehmer Geruch von Bohnerwachs hängt in der Luft.
Nadia, die Chefredakteurin der »Yemen Times«, empfängt mich in der zweiten Etage mit offenen Armen. Eine Frau an der Spitze einer Zeitung? Das hätte ich nicht für möglich gehalten. Und ihr Mann erlaubt ihr das so einfach? Nadia, der meine Verblüffung nicht entgeht, lacht schallend.
»Komm, ich zeige dir etwas«, sagt sie.
Nadia öffnet eine Tür im hinteren Teil ihres großen, hellerleuchteten Büros. Ein Kinderzimmer! Überall liegen kleine Kissen, Spielzeug ist auf dem Boden verstreut.
»Das Zimmer meiner Tochter«, erklärt sie mir. »Manchmal nehme ich sie mit zur Zeitung. So kann ich gleichzeitig
Omma
sein und arbeiten.«
Ein ganzes Zimmer nur für ihre Tochter! Vor mir tut sich eine völlig unbekannte Welt auf. Mir ist, als käme ich von einem anderen Planeten. Ich fühle mich ein wenig eingeschüchtert, aber es ist auch sehr faszinierend.
Doch damit fangen die Überraschungen erst an. Als Nadia mich in den Redaktionssaal führt, stelle ich zu meinem Erstaunen fest, dass hier in der Mehrzahl Journalistinnen arbeiten, Frauen! Manche sind von Kopf bis Fuß in Schwarz gehüllt und lüften ihren
niqab
nur, wenn sie an ihrem Tee nippen. Andere tragen orangefarbene oder rote Kopftücher, unter denen blonde Haarsträhnen hervorschauen, die gut zu ihren blauen Augen und ihrem milchweißen Teint passen. Sie haben lange, lackierte Fingernägel, und ihr Arabisch hat einen merkwürdigen Akzent. Ob es Ausländerinnen sind – Amerikanerinnen oder Deutsche vielleicht, verheiratet mit jemenitischen Männern? Sicherlich haben sie studiert, um hier arbeiten zu können. Und bestimmt fahren sie auch im eigenen Auto zur Arbeit, so wie Shada.
Ich stelle mir vor, wie sie Kaffee trinken und Zigaretten rauchen, wie im Fernsehen. Vielleicht tragen sie sogar Lippenstift auf, wenn sie in der Stadt essen gehen. Eine von ihnen führt gerade ein intensives Telefongespräch. Ich spitze die Ohren und lasse mich von dieser wohlklingenden Sprache entführen. Englisch, nehme ich an. Eines Tages möchte ich auch Englisch lernen.
Ich werde nicht müde, sie zu betrachten. Besonders beeindruckt bin ich davon, wie sie gleichzeitig tippen und dabei auf die Fernseher schauen, die auf jedem der hellen Holzschreibtische stehen. Arbeiten und dabei »Tom und Jerry« schauen, was für eine artistische Leistung und was für ein Luxus!
»Nojoud, das sind Computer!«, ruft Hamed, der meine Verwunderung bemerkt hat.
»Was für Dinger?«
»Computer! Das sind Geräte mit einer Tastatur, mit denen kann man Artikel schreiben und Briefe verschicken. Auch Fotos kann man darauf anschauen.«
Geräte, mit denen man Briefe verschicken und Fotos anschauen kann! Diese Frauen haben nicht nur Stil, sie sind auch sehr modern. Ich versuche, mir vorzustellen, wie ich hier in zehn oder zwanzig Jahren sitze. Mit lackierten Fingernägeln und einem Kugelschreiber. Journalistin, das wäre etwas für mich. Oder vielleicht doch lieber Rechtsanwältin? Warum nicht beides? Mit meinem Computer schicke ich dann Briefe an Hamed und Shada. Jedenfalls würde ich hart arbeiten! In einem Beruf, in dem ich Menschen in Not helfen könnte, ein besseres Leben zu führen.
Die Besichtigung endet im großen Konferenzraum. »Hier treffen wir uns bei großen Anlässen«, erklärt mir Nadia.
»Bravo, Nojoud!«, ruft eine
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