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Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden

Titel: Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nojoud Ali , mit Delphine Minoui
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so schnell wie möglich aus meinem Viertel zu verschwinden, bevor meine Eltern die Polizei alarmierten. Ich setzte mich hinten auf die Rückbank, zwischen eine alte und eine jüngere Dame, beide von Kopf bis Fuß verschleiert. Einquetscht zwischen ihre beleibten Körper, wollte ich so vermeiden, dass man mich von der Straße aus durch das Fenster erkannte. Ich musste so unauffällig wie möglich bleiben. Zum Glück stellte mir keine der beiden irgendwelche Fragen.
    Erst in dem Augenblick, als der Motor zu brummen anfing, fühlte ich, wie mein Herz heftig klopfte. Ich dachte plötzlich wieder an meinen Bruder Fares, an den Mut, den er vier Jahre zuvor gehabt hatte, von zu Hause zu flüchten. Er hatte es geschafft, warum sollte es mir nicht auch gelingen? Aber war mir wirklich klar, was ich da unternahm? Was hätte mein Vater gesagt, wenn er seine Tochter allein in einen öffentlichen Bus hätte steigen sehen? War ich gerade dabei, seine Ehre mit den Füßen zu treten, wie er zu sagen pflegte?
    Die Tür wurde geschlossen. Zu spät, um es sich anders zu überlegen. Durch das Fenster sah ich die Stadt an mir vorbeiziehen: die Autos, die sich im morgendlichen Stau drängten, die Baustellen, die schwarz verschleierten Frauen, die fliegenden Händler mit den Jasminsträußchen, Kaugummipäckchen und Papiertaschentüchern in den Händen. Sanaa war so groß und voller Menschen! Doch hätte man mich wählen lassen zwischen dem staubigen Gewirr der Hauptstadt und der Abgeschiedenheit Khardjis, da wäre mir Sanaa lieber gewesen. Tausend Mal lieber!
    »Endstation!«, rief der Fahrer.
    Endlich, wir waren da! Sobald die Tür aufgeschoben wurde, erfüllte der Lärm der Straße den Minibus. Die Fahrgäste stiegen hastig aus. Ich tat es ihnen nach, folgte ihnen und streckte dem Fahrer mit zitternder Hand ein paar Geldstücke für die Fahrt entgegen. Das Problem war, dass ich keine Ahnung hatte, wo sich das Gericht befand. Und ich traute mich nicht, meine Mitreisenden zu fragen. Die aufsteigende Furcht lähmte mich. Ich hatte Angst, mich zu verirren. Ich schaute nach rechts, dann nach links. An der roten Ampel, die nicht mehr funktionierte, mühte sich ein Polizist ab, so etwas wie Ordnung inmitten der dröhnenden Autos zu bewahren, die einander mit Dauerhupen in allen Richtungen überholten. Ich blinzelte, geblendet von den Strahlen der starken Morgensonne, die den blauen Himmel durchdrangen. Unmöglich, unter diesen Bedingungen die Straße zu überqueren. Ich wäre nicht lebend davongekommen. An einen Pfosten gelehnt, versuchte ich, mich wieder zu fassen, als mein Blick schließlich auf ein gelbes Auto fiel. Gerettet!
    Es war eines der vielen Taxis, die von früh bis spät und von spät bis früh die Stadt durchquerten. Sobald ein Junge im Jemen groß genug ist und mit dem Fuß ans Gaspedal reicht, kauft ihm sein Vater einen Führerschein, in der Hoffnung, dass er damit eine kleine Anstellung als Fahrer bekommt und so die Familie miternährt. Ein solches Taxi hatte ich schon einmal genommen, als ich mit Mona nach Bab al-Yemen fuhr. Ich sagte mir, dass der Fahrer alle Adressen in Sanaa in- und auswendig kennen müsste.
    Ich hob die Hand, um ihn anzuhalten. Ein kleines Mädchen allein in einem Taxi, das gehört sich nicht. Aber in meiner Lage war mir das Gerede der Leute nun wirklich vollkommen egal.
    »Ich will zum Gericht!«, sagte ich dem Fahrer nur, der mich erstaunt musterte.
    Auf meinem Rücksitz sagte ich während der ganzen Fahrt kein Wort. Der Fahrer mit seiner vor
kath
geschwollenen Wange hätte sich nicht im Traum vorstellen können, wie dankbar ich ihm war, dass er mir keine Fragen stellte. Er war, ohne es zu wissen, mein stiller Komplize auf meiner Flucht. Ich hielt mir den rechten Arm auf den Bauch, versuchte unauffällig, schön gleichmäßig durchzuatmen, und schloss dabei leicht die Augen.
    »Da sind wir!«
    Mit einer Vollbremsung hielt er vor dem Gitter eines Hofes, der zu einem imposanten Gebäude gehörte. Das Gericht! Ein Verkehrspolizist gab ihm sofort ein Zeichen, er solle weiterfahren, weil er den Verkehr blockierte. Ich stieg eilig aus und gab ihm mein gesamtes Kleingeld. Als ich draußen stand, spürte ich plötzlich einen irrsinnigen Wagemut in mir aufsteigen. Zwar fühlte ich mich benommen und beklommen, aber voller Wagemut. So Allah wollte, würde mein Leben nun eine neue Richtung einschlagen.

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7. Die Scheidung
    15. April 2008
    D er große Tag ist gekommen, schneller als erwartet! So viele Menschen!

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