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Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden

Titel: Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nojoud Ali , mit Delphine Minoui
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Wände, und gegenüber vom Richterstuhl standen mehrere Reihen brauner Holzbänke. Dann sah man die Verbrecher in einem Bus mit vergitterten Fenstern vorfahren.
    »Das Gericht …«, fuhr Dowla fort. »Soviel ich weiß, ist das der einzige Ort, an dem man dich anhören wird. Sag, dass du zu einem Richter willst. Schließlich vertritt er die Regierung! Er hat viel Macht. Er ist wie ein Pate für uns alle. Es ist seine Aufgabe, Opfern zu helfen.«
    Dowla hatte mich überzeugt. Von diesem Moment an wurde alles viel klarer in meinem Kopf. Wenn mir meine Eltern nicht helfen wollten, so beschloss ich, würde ich es eben alleine durchziehen. Ich hätte jeden Berg erklommen, nur um nicht wieder auf dieser Matte liegen zu müssen, ganz allein neben diesem Monster. Ich drückte Dowla ganz fest und dankte ihr.
    »Nojoud?«
    »Ja?«
    »Hier, nimm! Du wirst es gebrauchen können.«
    Sie drückte mir 200
Rial
in die Hand. Das waren ihre gesamten spärlichen Einkünfte, die sie sich am Morgen an ihrer Kreuzung erbettelt hatte.
    »Danke, Dowla. Danke!«
    Am nächsten Morgen wachte ich besser gelaunt auf als sonst. Übrigens wunderte ich mich selbst über meine neue geistige Verfassung. Wie jeden Morgen wusch ich mir das Gesicht. Ich sprach mein Gebet. Ich zündete den kleinen Ofen an, um Teewasser aufzusetzen. Dann wartete ich, ungeduldig und nervös meine Hände knetend, bis meine Mutter aufstand. »Nojoud«, sagte meine zaghafte innere Stimme zu mir, »streng dich an, möglichst natürlich zu bleiben, damit deine Verwandten keinen Verdacht schöpfen.«
    Als
Omma
kurz darauf die Augen aufschlug und den rechten Zipfel ihres schwarzen Kopftuchs aufknotete, in dem sie für gewöhnlich ihre Geldstücke versteckte, begriff ich erleichtert, dass mein Vorhaben vielleicht doch Chancen hatte, sich zu erfüllen. Wenn sie nur wüsste.
    »Nojoud«, sagte sie und hielt mir 150
Rial
hin, »geh Brot kaufen fürs Frühstück.«
    »Ja,
Omma
«, antwortete ich folgsam.
    Ich nahm das Geld. Ich zog meinen Mantel an und legte mein schwarzes Kopftuch um, das ich als verheiratete Frau zu tragen hatte. Ich schloss sorgfältig die Tür hinter mir. Die Gassen der Umgebung waren noch ziemlich leer. Ich bog in die erste Straße nach rechts ein, die zu unserer Bäckerei führte, wo das frische Brot zart knusprig aus dem althergebrachten Ofen kommt. Ich spitzte die Ohren und vernahm in der Ferne den Singsang des Gasflaschen-Verkäufers. Er klapperte täglich das Viertel auf seinem Fahrrad ab, hinter dem er seinen Karren herzog.
    Je näher ich der Bäckerei kam, desto intensiver stieg mir der Duft der ofenwarmen
khobz
-Brotfladen in die Nase. Ich bemerkte schließlich sogar die Umrisse mehrerer Frauen aus dem Viertel, die bereits vor dem
tandour
anstanden. Doch in letzter Minute änderte ich die Richtung und schlug den Weg zur Hauptstraße des Viertels ein. Das Gericht, hatte Dowla zu mir gesagt, geh doch einfach zum Gericht.
    Als ich mich auf der breiten Straße befand, packte mich plötzlich die Angst, erkannt zu werden. Was, wenn einer meiner Onkel hier entlangging? Innerlich erschauerte ich. Um mich vor den Blicken der Passanten zu schützen, zog ich mir die Zipfel meines Schleiers fast über das ganze Gesicht, so dass nur noch meine Augen zu sehen waren. Ausnahmsweise war mir der
niqab
, den ich seit Khardji nicht mehr anlegen wollte, auch einmal nützlich. Ich vermied, mich umzudrehen, aus Angst, mir könne jemand folgen. Vor mir wartete eine Busschlange am Gehsteig. Vor dem Laden, der Plastikbälle verkauft, erkannte ich den gelbweißen Minibus mit den sechs Sitzplätzen, der täglich im Viertel hält und die Fahrgäste ins Zentrum bringt, unweit des Tahrir-Platzes. »Los, wenn du dich scheiden lassen willst, dann musst du dich jetzt trauen!«, ermutigte mich meine zaghafte innere Stimme. Ich stellte mich zu den anderen in die Reihe. Alle Kinder in meinem Alter waren in Begleitung ihrer Eltern. Ich war das einzige Mädchen, das alleine wartete. Ich schaute zu Boden, damit mir niemand eine Frage stellte. Ich fühlte mich beobachtet. Ich fürchtete, jemand könnte erraten, was ich vorhatte. Ich hatte das schreckliche Gefühl, dass man es mir von der Stirn ablesen konnte.
    Der Fahrer stieg von seinem Sitz, um die Tür zu öffnen, indem er sie seitlich aufschob. Plötzlich gab es eine Drängelei, und mehrere Frauen stießen sich mit dem Ellbogen, um im Bus einen Sitz zu ergattern. Ich ließ mich sofort von der Bewegung mitreißen und dachte nur an das eine:

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