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Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden

Titel: Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nojoud Ali , mit Delphine Minoui
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den Fragen. Ich muss das aushalten.
    »Herr Faez Ali Thamer, haben Sie die Ehe vollzogen?«, fragt der Richter.
    Ich halte die Luft an.
    »Ja«, antwortet er. »Aber ich war zärtlich mit ihr. Rücksichtsvoll. Ich habe sie nicht geschlagen.«
    Seine Antwort springt mir ins Gesicht, lässt all die Schläge, Schimpftiraden, Schmerzen wiederaufleben. »Wie bitte, nicht geschlagen? Und alle diese blauen Flecke, und alle die Tränen, die du vor Schmerzen geweint hast? Deine Stunde ist gekommen, du musst etwas tun!«, sagt mir meine innere Stimme. Ich reiße mich zusammen.
    »Das stimmt nicht!«, rufe ich laut aus.
    Alle schauen mich an. Ich bin wohl selbst am meisten überrascht von dieser Spontaneität, die sonst so gar nicht meine Art ist.
    Von diesem Moment an geht alles sehr schnell. Das Monster läuft vor Zorn rot an. Er sagt, mein Vater habe ihn betrogen und über mein Alter belogen. Nun regt sich auch
Aba
auf. Er sagt, es sei abgemacht gewesen, dass er mich erst anrührt, wenn ich größer bin. Da wird das Monster erst richtig dreist. Er wolle nur unter der Bedingung in die Scheidung einwilligen, dass mein Vater das Brautgeld zurückzahlt! Er habe nie Geld erhalten, gibt mein Vater zurück. Auf einmal geht es zu wie im Basar! Wie viel? Wann? Wie? Wer sagt die Wahrheit? Wer lügt? Jemand bietet dem Monster 50 000
Rial
an, wenn die Sache damit geregelt wäre. So viel verdient ein Arbeiter im Jemen in vier Monaten. Mir wächst das alles über den Kopf. Ich will das alles nicht mehr hören! Ich möchte nur meine Ruhe haben, ein für alle Mal! Ich habe genug von diesen Streitereien unter den Großen, unter denen immer wir Kinder zu leiden haben!
    Endlich kommen die erlösenden Worte des Richters.
    »Die Scheidung ist hiermit vollzogen!«, verkündet er.
    Die Scheidung ist vollzogen! Ich wage es kaum, meinen Ohren zu trauen. Ich möchte jubeln, meine Freude laut hinausrufen! So glücklich bin ich, dass ich es gar nicht mitbekomme, als der Richter verfügt, dass mein Vater und das Monster freigelassen werden sollen. Ohne das geringste Bußgeld, sie müssen nicht einmal eine Verpflichtung zur Besserung unterzeichnen!
    Im Moment möchte ich nur meine wiedergefundene Freiheit genießen. Als wir den kleinen Raum verlassen, stelle ich fest, dass die Menschenmenge immer noch da ist – lauter als zuvor!
    »Ein Satz für die Kameras, nur ein Satz!«, ruft ein Journalist. Alle drängen herbei, alle wollen mich sehen. Sie applaudieren.
»Mabrouk!«,
schallt es mir wie ein Chor in den Ohren.
    So jung sei sicherlich noch niemand auf der Welt geschieden worden, höre ich jemanden hinter mir murmeln.
    Dann geht ein Regen von Geschenken auf mich nieder. Ein Mann, den meine Geschichte gerührt hat, drückt mir ein Bündel Geldscheine in die Hand. 150 000
Rial
! Er stellt sich als Vertreter eines saudischen Spenders vor. Noch nie in meinem Leben habe ich so viel Geld in der Hand gehabt.
    »Dieses Mädchen ist eine Heldin. Sie hat eine Belohnung verdient!«, ruft er.
    Ein anderer Mann erzählt mir von einer Irakerin, die mir Gold schenken will.
    Schon geht wieder das Blitzlichtgewitter los. Da erhebt sich in der Menge einer meiner Onkel und ruft zu Shada hinüber:
    »Sie haben das Ansehen unserer Familie beschmutzt! Sie haben unsere Ehre befleckt!«
    Shada schaut mich an.
    »Dummes Zeug, was er da sagt«, flüstert sie mir ins Ohr.
    Sie nimmt mich an der Hand und führt mich hinaus. Vor meinem Onkel brauche ich keine Angst mehr zu haben, schließlich habe ich gewonnen! Gewonnen! All das Geschimpfe, es hat ein Ende! Ich bin geschieden! Die Ehe, sie ist vorbei! Wie seltsam, mit einem Mal fühle ich mich ganz leicht, ich habe das Gefühl, wieder ein Kind zu sein …
    »
Khaleh
Shada?«
    »Ja, Nojoud?«
    »Ich möchte neue Spielsachen haben! Ich möchte Schokolade und Kuchen essen!«
    Ihre ganze Antwort ist ein Lächeln.

[home]
8. Der Geburtstag
    S o fühlt sich das also an, das Glück. In den wenigen Stunden, seit ich das Gerichtsgebäude verlassen habe, ist etwas Erstaunliches mit mir passiert. Noch nie sind mir das Hupen und der Lärm auf den verstopften Straßen so wundervoll erschienen. Gerade eben bin ich an einem Laden vorbeigekommen und habe Lust auf ein großes Eis bekommen. »Und ich esse auch noch eins, und wenn ich will, sogar noch ein drittes.« Ich habe eine Katze gesehen und wollte gleich zu ihr hinlaufen und sie streicheln. Ich muss dauernd blinzeln, so als würde ich zum ersten Mal die kleinen Freuden des Lebens

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