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Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden

Titel: Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nojoud Ali , mit Delphine Minoui
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Der Gerichtssaal ist zum Bersten voll. Beeindruckend. All diese Leute, die sich da auf den Zuschauerbänken drängeln, sind die etwa alle wegen mir gekommen? Shada hat mich vorgewarnt. Die Vorbereitungen haben viel Zeit in Anspruch genommen. Doch Shadas Pressearbeit hat Früchte getragen. So sehr, dass sie angesichts dieser Menschenmenge nicht weniger überrascht scheint als ich! Etwa eine Woche ist seit unserer ersten Begegnung verstrichen. Eine Woche Zeit, um mit der Presse, dem Fernsehen, den Frauenorganisationen zu sprechen. Und dies ist das Ergebnis. Ein Wunder! Noch nie in meinem Leben habe ich so viele Fotoapparate und Filmkameras gesehen. Sind es die vielen Menschen im überfüllten Saal, die mir die Luft zum Atmen nehmen, oder habe ich einfach Lampenfieber? Unter meinem schwarzen Kopftuch bin ich schweißgebadet.
    »Nojoud, bitte lächeln«, ruft ein Fotograf, der sich unter Einsatz seiner Ellbogen zu mir durchkämpft.
    Kaum ist er bei mir angekommen, da richtet sich eine ganze Batterie von Objektiven auf mich. Sogar Videokameras sind dabei! Ich erröte. Das viele Blitzlicht kann einem richtig Angst machen. Und nirgends in der Menge ein bekanntes Gesicht. All diese Leute, die mich anschauen … Ich halte mich an Shada fest. Ihr Duft hilft mir. Der Duft von Jasmin, der mir mittlerweile so vertraut ist. Sie ist wie eine zweite Mutter für mich, Shada!

    »
Khaleh
Shada«, frage ich, »
Tante Shada?
«
    »Ja, Nojoud?«
    »Ich habe Angst.«
    »Wir schaffen das schon. Wir schaffen das«, flüstert sie mir zu.
    Ich hätte mir nie vorstellen können, dass sich so viele Leute für mich interessieren könnten. Für mich, die ich so viele Monate lang still gelitten hatte. Nun stand ich plötzlich mitten im Rampenlicht, wurde von Journalisten belagert.
    Shada hatte mir doch versprochen, es kämen keine, es wären überhaupt keine anderen Leute da. Was soll ich nun sagen, wenn sie anfangen, mir Fragen zu stellen? Ich habe nicht gelernt, wie man das macht.
    »Shada?«
    »Ja, Nojoud?«
    »Diese vielen Blitzlichter, das ist ja, wie wenn … wie wenn Bush kommt, dieser Amerikaner, den man immer im Fernsehen sieht.«
    Shada lächelt.
    »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, sagt sie.
    Ich versuche, tapfer zu lächeln. Doch innerlich bin ich wie gelähmt. Ich kann mich kaum bewegen, mir ist, als seien meine Füße an den Boden genagelt. Da steht eine große Frage vor mir, die mir Angst macht. Wie geht das überhaupt, Scheidung, was heißt das eigentlich? Ich habe ganz vergessen, Shada danach zu fragen. In der Schule haben wir nie über solche Sachen geredet. Auch wenn ich mit Malak, meiner besten Freundin, immer über alles gesprochen habe. Aber doch nie über so etwas. Wahrscheinlich haben wir uns gedacht, das ist ein Thema für die Großen, und wir fühlten uns noch zu klein, um uns mit solchen Dingen zu beschäftigen. Und jetzt fällt mir ein, dass ich nicht einmal weiß, ob meine Lehrerinnen verheiratet oder geschieden waren. Es ist mir nie eingefallen, sie danach zu fragen. Daher ist es nicht so einfach für mich, meine Geschichte mit der von anderen Frauen zu vergleichen.
    Da schießt mir ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf: Und wenn das Monster einfach »nein« sagt? Was soll ich tun, wenn er sich der Trennung widersetzt, wenn er, seine Brüder und die anderen Männer des Dorfs im Rücken, den Richter mit seinem
jambia
bedroht? Was dann?
    »Hab keine Angst, alles wird gutgehen«, sagt Shada und legt mir beruhigend die Hand auf die Schulter.
    Ich hebe den Kopf, um sie besser sehen zu können. Wahrscheinlich hat sie nicht viel geschlafen. Sie hat Ringe unter den Augen und sieht müde aus. Alles wegen mir, das ist mir unangenehm. Aber auch wenn sie müde ist, Shada ist immer schön. Und elegant. Wie eine Frau aus der Stadt! Sieh mal an, sie trägt heute ein anderes Kopftuch, es ist rosa, wie ihre Tunika. Eine meiner Lieblingsfarben! Heute trägt sie einen langen grauen Rock und Schuhe mit hohen Absätzen. Ich bin froh, sie an meiner Seite zu haben.
    Da bemerke ich, wie mir aus der Menge heraus jemand zuwinkt. Das ist Hamed Thabet, der Reporter der »Yemen Times«! Endlich jemand, den ich kenne. Hamed, mein neuer Freund, er ist wie ein großer Bruder, ein echter, nicht einer wie Mohammad. Eine Bekannte von Shada hat ihn uns vorgestellt. Er ist groß und gebräunt, hat ein rundes Gesicht, ich fand ihn gleich sehr nett. Ich habe keine Ahnung, wie alt er genau ist. Ich habe mich nicht getraut, ihn danach zu fragen.

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