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Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden

Titel: Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nojoud Ali , mit Delphine Minoui
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Schuhe einst hatten.
    Die Wagentür fällt zu, weiter geht die Fahrt. Die Kleine freut sich so sehr, uns alle wiederzusehen, dass wir unsere Verwunderung, sie unter solchen Umständen angetroffen zu haben, beinahe vergessen.
    Der Fahrer hält nun auf den Südwesten der Stadt zu. Unterwegs kommen wir an einer anderen, noch im Bau befindlichen Moschee vorbei. Sie wirkt so groß und prächtig, dass man an einen Palast denkt. Ich presse das Gesicht an die Scheibe und bewundere die sechs riesigen Minarette. Eman erklärt mir, die lasse unser Präsident bauen, für 60 Millionen Dollar. 60 Millionen Dollar! Das muss eine riesige Summe sein, denke ich – wo ich doch gerade bis 100 zählen kann. Ist das Leben nicht merkwürdig? Auf der einen Seite Moscheen, die wie Paläste aussehen, und auf der anderen Bettler, die nichts zu essen haben. Ich muss Shada einmal bitten, mir das zu erklären.
    Doch im Augenblick beschäftigt mich vor allem die Geschichte von Mona. Im Vergnügungspark angekommen, schüttet sie uns ihr Herz aus.
    »Es ist eine lange Geschichte«, seufzt sie und lässt Monira los, die sich, gefolgt von Haïfa, hinter einem Busch versteckt.
    Eman und die Journalistin haben ihr gegenüber Platz genommen, zu dritt sitzen sie im Schneidersitz im Schatten eines Baumes. Ich höre zu.
    »Mohammad, mein Mann, ist einige Wochen vor der Heirat von Nojoud ins Gefängnis gekommen. Man hat ihn im Schlafzimmer meiner großen Schwester Jamila gefunden. Ich hatte die beiden schon eine ganze Weile im Verdacht. Um der Sache auf den Grund zu gehen, habe ich jemanden geschickt, und die beiden sind überrascht worden. Es ist rasch zu einer Prügelei ausgeartet. Die Polizei ist gekommen und hat Mohammad und Jamila mitgenommen. Nun sind beide im Gefängnis. Ich weiß nicht, wie lange noch …«
    Mona senkt den Blick. Ich schaue sie nur groß an und weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Ich kann gar nicht richtig erfassen, was sie da erzählt. Aber es klingt nach einer schrecklichen Geschichte.
    »Im Jemen kann Ehebruch mit dem Tod bestraft werden«, murmelt Eman schließlich.
    »Ja, ich weiß«, antwortet Mona. »Deshalb setzt mich Mohammad auch unter Druck, ein Papier zu unterschreiben, auf dem ich behaupte, wir seien schon vor seiner Verhaftung geschieden gewesen, damit die Sache vertuscht werden kann. Ich besuche ihn zwar nicht im Gefängnis, aber das hat er mir ausrichten lassen. Ich denke nicht daran! So kommt er nicht davon, diesmal nicht! Ich habe mir genug von ihm gefallen lassen.«
    Ich habe Mona noch nie so viel reden hören. Sie gestikuliert wild, ihre Augen funkeln im Sehschlitz ihres
niqab
. Es bricht mir das Herz, wenn ich ihre zitternde Stimme höre. Und trotzdem müssen wir auf einmal alle schallend lachen. Hinter dem Busch hat Monira ihr Unterhöschen heruntergelassen und wässert mit einem kleinen Strahl das von der Sonne ausgedörrte Gras.
    »Monira!«, ruft Mona und findet für einen Augenblick in ihre Rolle als zärtliche Mutter zurück.
    Doch gleich fällt wieder ein Schatten über ihre Augen.
    »Monira, meine Kleine … Nun muss ich meine beiden Kinder ganz alleine erziehen, sofern mich meine Schwiegermutter überhaupt an sie heranlässt. Mohammad hat als Vater nie getaugt. Als Ehemann sowieso nicht …«
    Nach kurzer Pause fährt sie fort: »Ich war ungefähr so alt wie Nojoud, als man mich zwang, ihn zu heiraten. Unsere Familie hat glücklich in Khardji gelebt, bis zu jenem ›schwarzen Tag‹, der alles kaputt gemacht hat.«
    Ich kneife die Augen zusammen und rücke vorsichtig näher, um sie besser verstehen zu können. Eigentlich habe ich schon genug gehört für mein Alter. Doch ich will unbedingt erfahren, wie diese Geschichte ausgegangen ist. Es geht hier immerhin um meine Schwester, und so seltsam es klingt, ich fühle mich für sie verantwortlich.
    »
Omma
war nach Sanaa gefahren, um sich dort behandeln zu lassen. Sie war sehr krank, und die Ärzte hier haben ihr gesagt, sie solle zu einem Spezialisten in der Hauptstadt gehen.
Aba
ist wie immer früh aus dem Haus gegangen, um das Vieh zu versorgen. Ich bin mit meinen kleinen Brüdern und Nojoud, die damals noch ein Baby war, zu Hause geblieben. Ein junger Mann, den ich nicht kannte, ist um das Haus herumgeschlichen. So um die dreißig war er. Er hat Annäherungsversuche gemacht. Es hat mir nichts geholfen, ihn abzuweisen, er hat mich einfach ins Schlafzimmer gestoßen. Ich habe mich gewehrt. Ich habe geschrien. Ich habe ›nein!‹ gesagt.

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