Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden
heiraten will, dann würde ich sofort einschreiten. »Nein! Das ist verboten!« würde ich sagen. Und wenn niemand auf mich hören wollte, würde ich die Polizei rufen! Tief in meiner Tasche vergraben hüte ich das Handy, das mir Hamed gegeben hat. Ein ganz neues Handy, so eines, wie Shada hat, damit kann ich sie jederzeit anrufen.
Mein großer Bruder Mohammad ist weniger glücklich. Seit der Gerichtsverhandlung schimpft er häufig über Haïfa und mich. Er nimmt auch öfter meinen Vater beiseite und sagt ihm, dass all der Aufruhr um die Familie unserem Ansehen schade. Er ist einfach eifersüchtig, so viel steht fest. Das sieht man an den Gesichtern, die er schneidet, wenn Journalisten an unsere Tür klopfen. Zu meiner großen Überraschung hat sich meine Geschichte um die ganze Welt verbreitet. Jede Woche kommen andere Journalisten aus Ländern mit so exotischen Namen wie Frankreich, Italien oder sogar Amerika vorbei – nur wegen mir!
»Nojoud bringt Schande über unsere Familie, wenn ihretwegen dauernd Ausländer in unserem Viertel herumschleichen!«, hat Mohammad zu Eman gesagt, kaum dass sie heute Morgen zur Tür hereingekommen ist.
»Sie ist es, die sich wegen euch schämen sollte!«, hat sie ihm erwidert.
»Bravo, Eman«, hat mir meine innere Stimme gesagt. Da wusste Mohammad nicht mehr, was er sagen sollte. Er hat sich einfach in die Ecke des großen Zimmers gesetzt. Und ich habe mich beeilt, mein schwarzes Kopftuch anzuziehen, bevor es ihm einfiel, zu schimpfen, weil ich weggehe, und habe mir Haïfa geschnappt, damit sie nicht mit ihm und seiner schlechten Laune allein bleiben muss. Haïfa, mein Augapfel, sie werde ich nie im Stich lassen. Eman hat uns einen Ausflug in den Vergnügungspark versprochen. Dort war ich noch nie. Ein ganz besonderes Erlebnis also! Und so sitzen wir also im Auto, als Mona gerannt kommt.
»Mohammad hat gesagt, ich soll euch begleiten!«, stößt sie ganz außer Atem hervor.
Mona scheint die Sache etwas peinlich zu sein, aber sie ist sehr bestimmt. Ohne sie dürfen wir nicht fahren, meint sie. Wir sehen ein, dass es besser ist, sich den Anordnungen des großen Bruders zu beugen. Den
niqab
über dem Gesicht, steigt Mona vorne ein, neben dem Fahrer. Ich glaube, genau zu wissen, was los ist. Mohammad hat sich geärgert und uns aus Rache meine Schwester hinterhergeschickt, damit sie uns nachspioniert. Doch bald wird mir klar, dass Mona ganz anderes im Sinn hat, etwas, worauf ich nie gekommen wäre …
Kaum sind wir losgefahren, äußert sie einen Wunsch. Bevor wir in den Vergnügungspark fahren, möchte sie noch einen Abstecher in unser früheres Viertel machen, nach Al-Qa. Was für ein merkwürdiger Einfall! Ob ihr Mohammad einen besonderen Auftrag erteilt hat? Eman, die sich ebenfalls wundert, willigt schließlich ein. Wir fahren also im Zickzack durch die Gassen, bis wir an einer Moschee vorbeikommen.
»Anhalten!«, ruft Mona dem Fahrer zu.
Ich habe sie noch nie so aufgeregt gesehen. Der Fahrer tritt auf die Bremse. Auf den Eingangsstufen der Moschee streckt eine Frau unter einem schwarzen Schleier eine Hand nach Münzen aus. Mit der anderen hält sie ein kleines schlafendes Mädchen in einem schmutzigen Kleidchen und mit struppigem Haar.
»Aber das ist ja Monira!«, entfährt es mir.
Monira, meine kleine Nichte, die Tochter von Mona! Was um alles in der Welt macht sie denn hier, in den Armen einer von Kopf bis Fuß schwarz verhüllten Bettlerin, die ihr Gesicht hinter einem Schleier verbirgt?
»Als mein Mann ins Gefängnis gekommen ist, hat meine Schwiegermutter Monira von mir verlangt«, murmelt Mona, als wir sie verwundert anschauen.
»Mit einem kleinen Kind ist es einfacher, die Passanten zu rühren, sagt sie«, erklärt Mona.
Mir steht der Mund offen. Monira, dieses zarte Püppchen, dazu verdammt, in den Armen einer alten Frau in Lumpen zu betteln? Der Mann von Mona im Gefängnis? Was denn noch alles? Es stimmt also, was
Aba
bei Gericht gesagt hat … Doch Mona ist nun zu sehr damit beschäftigt, zärtlich ihre Kleine zu begrüßen, die sie der verschleierten Gestalt aus den Armen genommen hat, um uns weitere Erklärungen zu geben.
»Sie fehlt mir so. Ich bringe sie wieder, versprochen … versprochen«, höre ich sie zu der Frau in Schwarz sagen, bevor sie sich, die Dreijährige auf dem Arm, wieder zu uns ins Auto setzt.
Ein unangenehmer Geruch verbreitet sich im Wagen. Monira starrt so vor Dreck, dass man kaum erraten kann, welche Farbe ihre
schmutzigen
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