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Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden

Titel: Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nojoud Ali , mit Delphine Minoui
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sogar.
    »Weißt du noch,
Aba?
Ich war so wütend auf dich, an dem Tag, als du mich angeschrien hast, weil ich mit leeren Händen vom Bäcker zurückkam. Ich sollte um Brot betteln, und ich habe mich so geschämt, ich war es so leid. Ich habe von einer neuen Hose geträumt, wie sie andere Jungen in meinem Alter hatten. Aber zu Hause hat es allerhöchstens für das Essen gereicht. Am nächsten Tag ist mir der verrückte Gedanke gekommen, von nun ab für mich selbst zu sorgen. Ich wollte es schaffen, richtiges Geld verdienen, mir Kleider kaufen. Also bin ich von hier weggegangen und habe mir geschworen, wenn ich eines Tages zurückkomme, dann nur, wenn ich die Taschen voller Geld habe.«
    Er macht eine kleine Pause, um an seinem Tee zu nippen, bevor er fortfährt: »Im Viertel hat man erzählt, dass man in Saudi-Arabien Arbeit finden, dass man dort Geld verdienen könne, genug, um sogar noch etwas an die Familie zu schicken. Das war genau das, was ich brauchte! Ich beschloss, das Abenteuer zu wagen. Ich platzte fast vor Ehrgeiz. Was hatte ich schon zu verlieren? Ich war jung und machte mir keine Sorgen. Nie hätte ich mir vorstellen können, wie schwer das ist.
    Vier Tage hat die Reise nach Saudi-Arabien gedauert. Zuerst bin ich mit einem Sammeltaxi Richtung Saada im Nordwesten des Jemen gefahren. Alle paar Kilometer wurden wir von einem Kontrollposten der Armee aufgehalten. Rasch wurde mir klar, dass die Reise lang und beschwerlich werden würde. In Saada habe ich einen Schleuser gefunden, der mir versprochen hat, mich für 5000
Rial
über die Grenze zu bringen. Viel Geld, aber nachdem ich einmal so weit gekommen war, wollte ich nicht aufgeben. Immerhin schien er sich auszukennen. Er sagte, er kenne alle Wege und wisse, wie man es anstellen müsse, um an der Grenze nicht geschnappt zu werden. Da ich keinen Ausweis hatte, musste ich auf seine Dienste vertrauen.«
    »Wir haben uns solche Sorgen gemacht! Wir haben gedacht, du bist für immer verschwunden«, unterbricht ihn mein Vater.
    Fares, ganz in seine Gedanken versunken, setzt seine Erzählung fort, ohne auf die Bemerkung meines Vaters einzugehen.
    »Wir sind in der Nacht zu Fuß über die Grenze gegangen. Nie in meinem Leben habe ich so große Angst gehabt. Unterwegs haben wir andere Jemeniten getroffen, manche waren jünger als ich. Sie wussten genauso wenig wie ich, was sie auf der anderen Seite der Grenze erwartete, sie hatten nur eins im Kopf: Geld verdienen. Erst unterwegs ist mir klargeworden, welches Risiko ich eingehe. Sollten mich die Soldaten erwischen, so würden sie mich sofort nach Sanaa zurückschicken.
    Meine Erleichterung, über die Grenze gekommen zu sein, wurde bald von Ratlosigkeit abgelöst. Wohin nun? Ich war noch nie im Ausland gewesen. Todmüde bin ich immer weiter marschiert, bis ich nach Khamiss Mousheid gekommen bin. Was für eine Enttäuschung! Dieser Teil von Saudi-Arabien ist nicht besser dran als Sanaa. Ein Mann, den ich nach dem Weg fragte, bot mir an, die Nacht bei ihm zu verbringen. Er wohnte mit seiner Frau und seinen Kindern auf dem Land.
    Am nächsten Morgen hat er mich gefragt, ob ich für ihn arbeiten will, und ich habe sofort »ja« gesagt. Ich hatte keine andere Wahl. Er war Schafzüchter und übertrug mir eine Herde von sechshundert Tieren, die ich täglich mit Hilfe eines zweiten Schäfers, eines Sudanesen, auf die Weide führte. So habe ich zwölf Stunden am Tag gearbeitet, von sechs bis achtzehn Uhr. Zusammen mit dem Sudanesen habe ich in einem winzigen Häuschen gelebt, das irgendwo ganz einsam stand. Die ganze Einrichtung bestand aus zwei kleinen Matratzen. Es gab keinen Fernseher, keinen Kühlschrank, keine Toilette, keine Klimaanlage. Ich war enttäuscht.«
    Fares hält inne und schluckt. Seine Stimme droht ihm zu versagen. Sicher die Müdigkeit von der langen Reise.
    »Und das waren noch lange nicht alle Enttäuschungen«, fährt er fort. »Mit jedem Tag wurde unser Boss anspruchsvoller. Wir mussten die Tiere füttern, sie tränken, sie auf die Weide führen. Der Arbeitstag wurde immer länger. Am Ende des Monats wurde mir klar, in welche Lage ich geraten war: Ich erhielt 200
Rial
für dreißig Tage Arbeit, davon konnte ich mir gerade einmal ein paar Bonbons im Laden kaufen. Und der gehörte natürlich auch noch unserem Boss!
    Ich war ratlos. Es war nicht schwierig auszurechnen, dass ich zwei Jahre arbeiten müsste, um mir überhaupt nur die Rückreise nach Sanaa zu verdienen. Ich hatte nicht einmal Geld, um euch

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