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Ich schnapp' mir einen Mann

Ich schnapp' mir einen Mann

Titel: Ich schnapp' mir einen Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Völler
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auszuliefern.
Lieber kalt und tot, als diese Qual zu dulden.
    Anton stöhnte laut und biss starr vor Entsetzen seine
Fingerknöchel blutig.
    In dieser Sekunde ertönte das schrille Signal, mit dem das
Gerät anzeigte, dass die Batteriekapazität erschöpft war. Ihm blieb nur
noch kurze Zeit, weiterzulesen, dann würde sich der PC einfach
abschalten und erst wieder betriebsbereit sein, wenn er aufgeladen
worden war. Anton verschwendete in seiner wachsenden Panik wichtige
Sekunden darauf, mit der Wortsuchfunktion nach Begriffen wie tot,
Selbstmord, Freitod, sterben, umbringen und entsprechenden Synonymen zu
fahnden (sie liebte Synonyme – neben ihrer unbändigen Esslust
eine Eigenheit, die ihm rasch an ihr aufgefallen war!).
    Der Roman strotzte nur so von Tod-Synonymen. Bereits auf den
ersten zwanzig Seiten stieß er dutzendfach auf Begriffe aus der von ihm
gewählten Wortkategorie. Kein Wunder. Andauernd ballerte oder schlitzte
irgend jemand aus dem Dunstkreis des Don um sich. Es gab MP's,
Pump-Guns, Zweiundzwanziger, Achtunddreißiger, Fünfundvierziger.
Stilette, Springmesser, Rasiermesser, sogar eine Machete. Regelmäßig
mit entsprechender Todesfolge.
    Anton brach die Wortsuche ab und ging hektisch ans Ende des
Dokuments zurück. Hier irgendwo musste der Schlüssel zu finden sein!
    Das Notebook piepte erneut. Anton kam es vor, als würde eine
Bombe zwischen seinen Fingern ticken. Er musste es finden, er wusste,
dass da noch etwas war, und er suchte danach, als gelte es sein Leben.
    Er hielt die Luft an, als er auf diese Stelle stieß:
    Nur ein Gedanke hielt sie noch aufrecht: Antonio.
Schwer lastete die Schuld auf ihr, ihn ins Verderben gerissen zu haben.
    Es gab nur einen Weg, Antonios Unschuld zu beweisen
und ihn vor dem Gefängnis zu bewahren. Sie musste in die Höhle des
Löwen eindringen und das Geld zurückholen …
    Das Display wurde unvermittelt schwarz.
    Anton starrte immer noch hin, als könnte er mit Blicken in die
Festplatte eindringen und ihr sämtliche Geheimnisse entreißen, die
Flora ihr anvertraut hatte.
    »Die Höhle des Löwen«, murmelte er. »Das Geld
zurückholen …«
    Verdammt, was meinte sie damit? Sie konnte doch
nicht …
    »Nein!«, sagte er entsetzt.
    Doch in Wahrheit wusste er es besser. Sie konnte sehr wohl.
    Und wenn er sie nicht aufhielt, würde niemand es tun.
    In Xaviers Zimmer schien die Zeit stehen
geblieben zu sein. In den Regalen türmte sich ein buntes Sammelsurium
aus seinen fernen Jugendtagen. Ein großer, silberfarbiger Pokal bildete
den prächtigen Mittelpunkt aller Erinnerungsstücke. Xavier hatte diesen
einzigen Pokal seines Lebens bei einem Schwimmwettbewerb in den großen
Ferien gewonnen, weil die beiden Jungs, die vor ihm angeschlagen
hatten, wegen anschließender Prügelei disqualifiziert worden waren. Die
Kinder, die nach Xavier auf den Plätzen landeten, waren nur halb so alt
gewesen wie er, doch wen interessierte das jetzt, nach fast dreißig
Jahren noch? Den Glanz des Pokals konnte nichts je beeinträchtigen. Für
Xavier funkelte er noch genauso hell wie damals. Mutti behauptete zwar,
das liege daran, dass sie ihn regelmäßig mit Silberpolitur abrieb, doch
für Xavier war das nebensächlich.
    Neben dem Pokal waren verschiedene Klassenfotos aufgereiht. Er
war auf allen Bildern sehr gut zu erkennen, denn schon damals war er
immer der Kleinste in der Klasse gewesen und hatte daher vorn in der
ersten Reihe stehen müssen. Immer vorneweg dabei, hatte Mutti jedesmal
stolz gesagt und zielsicher den Zeigefinger auf das kleine
Froschgesicht mit der dicken Brille gelegt.
    Außer dem Pokal und den Fotos gab es noch den Fußball (seinen
allerersten!), seine Mineraliensammlung (mit einem echten Stück
Mondgestein!) und das Döschen mit seinen Milchzähnen. Als er sieben
Jahre alt gewesen war, hatte er fast alle gleichzeitig hineintun
können, damals, gleich nach seinem schlimmen Treppensturz.
    Säuberlich aufgereiht befanden sich im Regal außerdem die
Werke seiner umfassenden Karl-May-Sammlung. An der Wand über dem
Schreibtisch – es war immer noch sein erster, von Mutti damals
in weiser Voraussicht schön stabil gekauft – hing das
WM-Poster von 74. Die von ihm verehrten Weltmeister hatten es ganz
genau so gemacht wie er selbst; sie hatten sich nicht auf dem Pokal von
damals ausgeruht, sondern waren tüchtige Manager geworden.
    Wenn auch sein Zimmer mit der praktischen, haltbaren
Schrank-Klappbett-Regal-Kombination im Laufe der Zeit unverändert
geblieben war,

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