Ich schreib dir morgen wieder
der Treppe – meiner Treppe. Er trug Jeans, ein schwarzes T-Shirt mit einem blauen Totenkopf und blaue Turnschuhe. Ich fand ihn auch bei Tageslicht total cool.
Er blickte auf und zog die Ohrstöpsel aus den Ohren. »Er kann morgen um zehn vorbeikommen.«
Kein Hallo oder sonstige Begrüßung. Ich war ein wenig irritiert.
»Oh. Großartig, danke«, antwortete ich und wartete darauf, dass er aufstehen und davonflattern würde wie eine kleine Brieftaube, die ihre Botschaft überbracht hat. Aber er blieb sitzen. »Könnte er vielleicht auch um Viertel nach zehn kommen, falls Rosaleen spät dran ist?«
»Na klar, ich sag es ihm.«
»Okay. Großartig, danke«, wiederholte ich.
Als er daraufhin immer noch nicht ging, kam ich näher und lehnte mich ihm gegenüber an die Wand.
»Kennst du die Frau, die in dem Bungalow bei uns gegenüber wohnt?«
»Rosaleens Mutter? Ich hab sie in der ersten Woche nach unserer Ankunft hier gesehen, aber seitdem nicht mehr. Sie geht selten nach draußen. Sie ist ziemlich alt, ich glaube, sie hat Alzheimer oder so was.«
»Warst du schon mal in ihrem Haus?«
»Ich hab für Arthur ein paarmal Sachen dort abgeladen. Feuerholz, Kohlen, ein paar Kleinmöbel, solche Sachen. Aber Rosaleen begleitet mich immer hin und wieder zurück.« Er grinste. »Es ist ja nicht so, dass es dort groß was zu klauen gäbe. Falls sie sich deswegen Sorgen macht.«
»Na ja, wegen irgendwas macht sie sich jedenfalls Sorgen. Dann geht Arthur also nie selbst zum Bungalow. Wahrscheinlich kommt er mit Rosaleens Mutter nicht so gut aus, oder sie mit ihm. Warum wohl?«
»Gute Frage, Nancy Drew! Es könnte aber auch eine Erklärung sein, dass ich jetzt Arthurs Assi bin und er keinen Bock hat, seiner Schwiegermutter irgendeinen ollen Schaukelstuhl zu bringen, wenn ich das für ihn erledigen kann, billig, wie ich bin.«
»Aber er besucht sie auch nie.«
»Du lässt echt nicht locker, was?«
Das erinnerte mich daran, was Schwester Ignatius gesagt hatte – dass unser Kopf manchmal seltsame Dinge macht, wenn er etwas rauskriegen will. Sie hatte schon vor mir gewusst, dass ich etwas suchte.
»Es ist bloß, dass …« Ich stockte und dachte einen Moment scharf nach. »Um ehrlich zu sein, finde ich es hier unglaublich langweilig.« Lachend setzte ich hinzu: »Wenn ich irgendwas zu tun hätte oder Freunde oder einfach jemanden, mit dem ich mich unterhalten kann, dann würde ich vielleicht nicht aus jeder Mücke einen Elefanten machen. Dann wären mir Rosaleen und ihre Geheimnisse egal.«
»Was denn für Geheimnisse?«, entgegnete Weseley, ebenfalls lachend. »Rosaleen hat doch keine Geheimnisse. Sie ist nur einfach nicht sonderlich redegewandt und so daran gewöhnt, allein zu sein, dass sie gar nicht mehr weiß, wie man was von sich erzählt, glaube ich.«
»Das weiß ich ja, und ich hab auch schon daran gedacht, aber …«
»Aber was?«
Ich weiß nicht, wie oder warum, aber auf einmal fing ich an, ihm haarklein alles zu erzählen, was ich in den letzten Tagen erlebt hatte. Die ganzen seltsamen Gespräche, das verschwundene Fotoalbum, was ich im Garten hinter dem Bungalow gesehen hatte, das Tablett auf der Mauer. Dass Arthur dachte, Mum wollte ihn nicht sehen, dass Rosaleen es nicht ertrug, wenn ich ohne sie mit jemandem zusammen war, dass sie mich in dem Gespräch mit Schwester Ignatius nicht erwähnt hatte, dass Schwester Ignatius mir gesagt hatte, ich sollte Rosaleen Fragen stellen, dass meine Mum angeblich log, dass Rosaleen sie allem Anschein nach am liebsten den ganzen Tag in ihrem Zimmer einsperren wollte, dass Rosaleen immer heimlich zum Bungalow verschwand und mich nicht mitnehmen wollte, dass Rosaleen und Arthur sich gestritten hatten, ob unsere Sachen in die Garage passten.
Geduldig hörte Weseley mir zu, und die Art, wie er reagierte, brachte mich dazu, einfach immer weiterzusprechen und nichts zurückzuhalten.
»Okay …«, meinte er, als ich fertig war. »Das klingt zwar alles ein bisschen sonderbar, und ich verstehe, was dich argwöhnisch macht, aber wahrscheinlich gibt es für alles eine vollkommen normale Erklärung. Nämlich die Tatsache, dass Rosaleen einfach ein bisschen spinnt – entschuldige«, fügte er schnell hinzu. »Ich weiß, sie ist deine Tante.«
»Kein Problem.«
»Ich bin echt noch nicht lange genug hier, um die Leute richtig gut zu kennen, aber Rosaleen will mit niemandem in der Stadt näher was zu tun haben. Jedes Mal, wenn meine Mum ihr begegnet, schaut sie weg und geht
Weitere Kostenlose Bücher