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Ich Töte

Ich Töte

Titel: Ich Töte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Faletti
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sie die Frage gestellt hatten. Barbara sank auf den Stuhl und stützte sich aufs Mischpult. Laurent strich sich mit einer Hand durchs Haar und schwieg.
    In diesem Moment begann das rote Signal an der Wand zu blinken. Der DJ sah erschöpft aus. Er trank einen Schluck Wasser aus dem Glas, das auf dem Tisch stand, und näherte sich dem Mikrofon.
    »Hallo?«
    Zunächst war nur Stille. Jene Stille, die mittlerweile alle kannten.
    Dann der erstickte Ton, das unnatürliche Echo.
    Schließlich ertönte die Stimme. Alle drehten langsam den Kopf in Richtung Lautsprecher, als habe jene Stimme ihre Halsmuskeln steif werden lassen.
    »Hallo, Jean-Loup. Eine innere Stimme sagt mir, dass ihr auf mich wartet …«
    Cluny beugte sich zu Frank.
    »Haben Sie gehört? Perfekter Konjunktiv. Die Beherrschung der Sprache. Das ist er.«
    255

    Jean-Loup zögerte diesmal nicht. Seine Hände umklammerten den Tisch so sehr, dass die Knöchel weiß wurden, aber seiner Stimme war keine Spur von alledem anzumerken.
    »Ja, wir haben auf dich gewartet. Und du weißt auch, dass wir auf dich gewartet haben.«
    »Nun, hier bin ich. Die Hunde sind bestimmt schon todmüde von der Jagd auf einen Schatten. Aber die Jagd muss weitergehen. Meine und die der Hunde.«
    »Warum sagst du muss, was hat das alles für einen Sinn?«
    »Der Mond gehört allen, und jeder von uns hat das Recht, ihn anzuheulen.«
    »Den Mond anheulen bedeutet Schmerz. Man kann den Mond aber auch besingen. Im Dunkeln kann man glücklich sein, manchmal, wenn man ein Licht sieht. Mein Gott, man kann auf dieser Welt auch glücklich sein, glaub mir.«
    »Armer Jean-Loup, du glaubst also auch, dass der Mond echt ist, dabei ist er doch nur eine Illusion … Weißt du, was da im Dunkeln jenes Himmels ist, mein Freund?«
    »Nein, aber du wirst es mir sicher gleich sagen.«
    Der Mann am Telefon spürte nicht die bittere Ironie in diesem Satz. Oder vielleicht spürte er sie, fühlte sich aber überlegen.
    »Weder Gott noch der Mond, Jean-Loup. Das richtige Wort ist
    ›nichts‹. Da ist absolut nichts. Ich bin so sehr daran gewöhnt, dort zu leben, dass es mir schon gar nicht mehr auffällt. Überall ringsum, wohin ich meinen Blick auch wende, ist das Nichts. «
    »Du bist verrückt«, rutschte es Jean-Loup gegen seinen Willen heraus.
    »Das habe ich mich auch schon öfters gefragt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es so ist, auch wenn ich irgendwo mal gelesen habe, dass wahre Verrückte sich das gar nicht fragen. Ich weiß nicht, was es bedeutet, sich zu wünschen, verrückt zu sein, doch genau das passiert mir manchmal.«
    »Wahnsinn kann auch vorübergehen, er kann geheilt werden.
    Was können wir denn tun, um dir zu helfen?«
    Der Mann ignorierte die Frage, als gäbe es keine Lösung.
    »Frag mich lieber, was ich tun kann, um euch zu helfen. Genau, das wäre der neue Knochen. Für die Hunde, die ihrem Schwanz hinterherjagen in dem verzweifelten Versuch reinzubeißen. Es ist ein Loop. Ein schöner Loop, der sich dreht und dreht und dreht … Wie in der Musik. Wo auch ein Loop ist, der sich dreht, dreht, dreht …«
    256

    In einem fade-out-Effekt löste sich die Stimme in nichts auf. Aus den Lautsprechern kam, wie beim vorigen Mal, plötzlich Musik.
    Keine Gitarren diesmal, kein Retrorock, sondern ziemlich aktueller Dance. Der Sieg der elektronischen Musik und der Sampler. Das Stück endete so plötzlich, wie es gekommen war. Das Schweigen, das folgte, ließ Jean-Loups Frage nur umso gewichtiger erscheinen.
    »Was bedeutet das? Was soll das heißen?«
    »Ich habe die Frage gestellt, die Antwort liegt bei euch. So ist das Leben, mein Freund. Fragen und Antworten. Nichts außer Fragen und Antworten. Jeder Mensch schleppt seine Fragen mit sich herum, angefangen bei denen, die seit der Geburt in ihm geschrieben stehen.«
    »Welche Fragen?«
    »Ich bin nicht das Schicksal, ich bin einer und keiner, aber ich bin leicht zu verstehen. Wenn jemand, der mich sieht, realisiert, wer ich bin, dann gehen ihm im Bruchteil einer Sekunde die Augen auf, und er versteht jene Frage: zu wissen, wann und wo. Die Antwort bin ich. Für ihn bedeute ich Jetzt. Für ihn bedeute ich Hier .«
    Es gab eine Pause. Dann zischte die Stimme ein neues Todesurteil.
    »Und deswegen töte ich …«
    Ein metallisches Klick schnitt das Gespräch ab und hinterließ ein Echo, das wie der Mechanismus einer Guillotine klang. Im Geiste sah Frank ein abgehacktes Haupt fallen.
    Nein, diesmal nicht, Jesus!
    Inspektor Gottet war bereits im

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