Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich Töte

Ich Töte

Titel: Ich Töte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Faletti
Vom Netzwerk:
sind seine Augen, jetzt.
    Der raue Stoff des Sessels, der weiche Stoff der Hose um die muskulösen Beine, die Seide des Hemdes, die über dem Oberkörper der klaren Linie der Brust folgt. Die glatten Wangen, von einem anderen rasiert, bis seine Hände auf das farblose Rinnsal der Träne treffen, die ihm jetzt übers Gesicht läuft. Der Mann hatte darum gebeten, und es wurde ihm gewährt, allein zu sein, er, der immer Horror vor der Einsamkeit hatte, vor den leeren Zimmern, vor dem Halbdunkel.
    Und plötzlich hört er, dass jene Einsamkeit gebrochen, dass er nicht mehr allein in der Wohnung ist.
    Es ist kein Geräusch, es ist kein Atem oder Schritt. Es ist eine Präsenz, die er mit einem Sinn wahrnimmt, von dem er nicht wusste, dass er ihn besitzt, wie der primitive Instinkt einer Fledermaus.
    Er kann viel mehr Dinge wahrnehmen, jetzt.
    Die Präsenz verwandelt sich in leichte Schritte, gewandt, fast geräuschlos. Ein ruhiger und gleichmäßiger Atem. Jemand durchquert 270

    die Wohnung und nähert sich. Jene so leisen Schritte sind nun hinter ihm stehen geblieben. Er unterdrückt seinen Impuls, sich umzudrehen und nachzusehen, denn es wäre sinnlos.
    Er atmet den Duft einer wohlriechenden Haut, gemischt mit dem eines teuren Kölnischwassers. Er kennt die Essenz, aber nicht die Person.
    »Eau d’Hadrien« von Annick Goutal. Ein Parfüm, das nach Zitrone riecht, nach Meer, nach Wind. Er hat es Boris geschenkt, vor einiger Zeit, hatte es in Paris gekauft, in dem Geschäft bei der Place Vendôme, genau einen Tag nach dem grandiosen Auftritt im Theater. Als noch …
    Wieder die Schritte. Der neu Angekommene geht an seinem Sessel vorbei, der mit dem Rücken zur Tür steht. Er erkennt den Schatten eines Körpers, der sich vor ihm aufbaut.
    Der Mann im Sessel ist nicht überrascht. Er hat keine Angst. Er ist nur neugierig.
    »Wer bist du?«
    Ein Moment Schweigen, dann antwortet der stehende Mann dem sitzenden Mann mit einer tiefen und harmonischen Stimme.
    »Ist das wichtig?«
    »Ja, für mich ist das sehr wichtig.«
    »Mein Name würde dir vielleicht gar nichts sagen. Es ist nicht wichtig, dass du weißt, wer ich bin. Ich will sicher sein, dass du weißt, was ich bin und warum ich hier bin.«
    »Das kann ich mir vorstellen. Ich habe von dir gehört. Ich habe dich erwartet, glaube ich. Vielleicht habe ich sogar insgeheim gehofft, dass du kommen würdest.«
    Der sitzende Mann fährt sich mit der Hand durchs Haar. Er möchte mit ihr auch durch die Haare des anderen fahren, über sein Gesicht, über seinen Körper, denn seine Hände sind seine Augen, jetzt.
    Dieselbe tiefe Stimme, so reich an Harmonien, antwortet ihm aus der Dunkelheit.
    »Jetzt bin ich hier.«
    »Ich nehme an, es gibt nichts, was ich sagen oder tun könnte.«
    »Nein, da gibt es nichts.«
    »Dann ist es also aus. Ich denke, in gewisser Hinsicht ist es besser so. Ich hätte nie den Mut dazu gehabt.«
    »Willst du Musik?«
    »Ja, ich glaube schon. Das heißt, ich bin mir sicher. Ich will.«
    271

    Er hört eine Reihe kleiner weicher Töne, das Summen des CD-Players, der sich öffnet und wieder schließt, deutlich betont durch das Dunkel und die Stille. Der Mann hantiert an der Stereoanlage herum. Er hat das Licht nicht angemacht. Er muss die Augen einer Katze haben, wenn ihm der schwache Schein von draußen und die LED der Anlage ausreichen, um sich zu orientieren.
    Kurz darauf breiten sich die schwebenden Töne einer Trompete im Zimmer aus. Der sitzende Mann kennt das Stück nicht, aber von den ersten Takten an erinnert ihn die Stimme jenes Instruments seltsamerweise an die melancholische Melodie, die Nino Rota für die Filmmusik von Fellinis La Strada komponiert hat. Zu diesem Lied hat er am Anfang seiner Karriere an der Mailänder Scala getanzt, in einem Ballett, das auf dem Film basierte, mit einer Primaballerina, deren Name ihm nicht mehr einfällt, nur noch die unnatürliche Grazie ihres Körpers.
    Der Mann im Sessel wendet sich dem Dunkel zu, aus dem die Musik kommt, und es ist dasselbe im Zimmer und in seinen Augen.
    »Wer ist das?«
    »Er heißt Robert Fulton. Ein großartiger Musiker …«
    »Ich höre es. Was bedeutet er für dich?«
    »Eine alte Erinnerung. Von nun an wird es auch die deine sein.«
    Ein langes unbewegliches Schweigen. Der Mann im Sessel hat einen Moment lang den Eindruck, der andere sei gegangen. Aber als er zu ihm spricht, kommt die Stimme gleich neben ihm aus der Dunkelheit.
    »Darf ich dich um einen Gefallen bitten?«
    »Kommt

Weitere Kostenlose Bücher