Ich Töte
ihren Gesichtern in der Dunkelheit, das Geräusch eines Schlüssels im Schloss, der Durst, der Hunger.
Und die Angst, ihr einziger wahrer, ständiger Begleiter, ohne je den Trost der Tränen. Sie waren nie Kinder gewesen, sie waren nie Jungen gewesen, sie waren nie Männer gewesen: nur Soldaten.
Er erinnert sich an die Augen und das Gesicht dieses strengen und sturen Mannes, der für sie den Schrecken verkörperte. Und trotzdem war es in jener gesegneten Nacht, als alles geschah, überraschend leicht, ihn zu überwältigen. Sein eigener junger Körper war dank der Trainingsstunden eine perfekte Kampfmaschine. Der des anderen, von Alter und Misstrauen schwerfällig, konnte mit dieser 418
jungen Kraft und Grausamkeit nicht mehr mithalten, welche er selbst geschaffen und tagtäglich gestärkt hatte.
Er hatte ihn überrascht, während er mit halb geschlossenen Augen seine Lieblingsplatte, »Stolen Music« von Robert Fulton, hörte, die Musik seiner Freuden, die Musik seiner eigenen Rebellion. Er hatte mit einem Griff seinen Hals umklammert, fest wie der Schraubstock eines Schmiedes. Er hatte unter seinem Griff die Knochen knacken gehört und verwundert eingesehen, dass er, nach allem, nur ein Mensch war.
Als wäre es erst gestern gewesen, erinnert er sich an seine Frage, die nicht ängstlich, sondern lediglich verblüfft klang, als er den kalten Lauf der Pistole an seiner Schläfe spürte.
Was machst du da, Soldat?
Er erinnert sich an seine eigene Antwort, trotz allem laut und deutlich und kalt im erhabenen Moment der Rebellion, dem Moment, in welchem alle Schulden beglichen wurden, all das Unrecht beseitigt wurde.
Das, was du mir beigebracht hast. Ich töte, Monsieur!
Als er den Abzug drückte, tat ihm einzig Leid, dass er ihn nur ein Mal töten konnte.
Das Lächeln auf dem Gesicht des Mannes erlischt. Er hat einen vor langer Zeit geliehenen Namen verloren, um wieder einzig und allein einer und keiner zu sein. Die Namen braucht er jetzt nicht mehr, es gibt nur die Menschen und die Rollen, die von ihnen gespielt werden müssen. Der Mensch, der flüchtet, und der Mensch, der verfolgt, der starke Mensch und der schwache Mensch, der Mensch, der weiß, und der Mensch, der nicht weiß.
Der Mensch, der tötet, und der Mensch, der stirbt …
Er dreht sich um und sieht sich das Zimmer an, in dem er sich jetzt befindet. Auf dem Sofa sitzt ein Mann in Uniform mit dem Rücken zu ihm. Hinter der Lehne schaut sein Nacken hervor, der Ansatz der kurz geschnittenen Haare auf seinem geneigten Kopf, während er einen Stapel CDs auf dem Couchtisch sichtet.
Aus der Stereoanlage ertönt John Hammonds Akustikgitarre. In der Luft schweben die gewundenen, sich verzehrenden kurvenreichen Klänge eines Blues, ein Sound, der an das Mississippi-Delta erinnert, die schläfrige Faulheit von Sommernachmittagen, eine Welt aus Feuchtigkeit und Stechmücken, so weit entfernt, dass man fürchten muss, sie sei eine Erfindung und existiere überhaupt nicht.
Der Mann in Uniform ist unter irgendeinem Vorwand ins Haus 419
gekommen, übermannt von der Langeweile einer Aufgabe, die er vielleicht für überflüssig hält, zwei Kollegen vor dem Haus hinterlassend, die Opfer derselben Langeweile und derselben Meinung sind. Er war völlig fasziniert von den unzähligen Schallplatten und CDs in den Regalen und hatte angefangen, über Musik zu sprechen, mit einer eingebildeten Kompetenz, die in seinen Worten keine Entsprechung fand.
Wie hypnotisiert beobachtet nun der stehende Mann den wehrlosen Hals des Mannes auf dem Sofa.
Bleib ruhig sitzen, und hör Musik. Die Musik enttäuscht nie. Die Musik ist die Reise und das Ziel der Reise selbst. Die Musik ist der Anfang und das Ende von allem.
Der Mann öffnet langsam eine Schublade von dem Schränkchen, auf dem das Telefon steht. Darin liegt ein Messer, scharf wie eine Rasierklinge. Die Messerschneide reflektiert das durch ein Fenster einfallende Licht, während er das Messer fest in der Hand hält und sich auf den Mann zubewegt, der mit dem Rücken zu ihm sitzt.
Sein gebeugter Kopf bewegt sich leicht, er wippt im Takt der Musik. Sein geschlossener Mund stößt ein Gewinsel aus, das eigentlich als Begleitung zur Stimme des bluesman gedacht war.
Als er ihm mit der Hand den Mund zuhält, verändert das Winseln seinen Ton und wird stärker, hört auf, Gesang sein zu wollen, um sich in einen stummen Chor aus Erstaunen und Angst zu verwandeln.
Die Musik ist das Ende von allem …
Als er ihm den Hals
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