Ich Töte
sondern zwei Hände mit überkreuzten Fingern auf. Er starrte das Metall an, als könne er es mit seinem Blick zum Schmelzen bringen.
Du bist auf der anderen Seite dieser Tür, nicht wahr? Ich weiß, dass du da bist. Du stehst hinter der Panzertür, das Ohr an das kalte Metall gedrückt, und vernimmst unsere Stimmen und Geräusche.
Und wahrscheinlich fragst du dich, was wir wohl unternehmen wer
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den, um dich da herauszuholen. Das Absurde ist, dass wir uns genau das Gleiche fragen. Das Groteske ist, dass wir uns auf den Kopf stellen müssen, vielleicht wird sogar jemand von uns dran glauben müssen, um dich aus einem Gefängnis herauszuholen, nur um dich in ein ähnliches Gefängnis zu sperren, bis dass der Tod euch scheide …
Plötzlich hatte Frank das Gesicht von Jean-Loup vor Augen und den guten Eindruck, den der junge Mann vom ersten Moment an auf ihn gemacht hatte. Er sah seine völlig verstörte Miene im Sender vor sich, wie er den Kopf auf den Tisch gelegt hatte und vom Weinen geschüttelt wurde. Er hörte das Echo seiner Schluchzer, und in seiner Erinnerung verwandelten sie sich in das Hohngelächter eines bösen Geistes. Er dachte daran, wie er brüderlich zu ihm gesprochen hatte, um ihn davon zu überzeugen, seine Sendung nicht aufzugeben, nicht ahnend, dass er ihn dadurch unbewusst angestachelt hatte, sein verfluchtes Morden fortzusetzen.
Er hatte den Eindruck, durch die geschlossene Tür sein Eau de Cologne wahrzunehmen, das er in seiner Nähe so oft gerochen hatte, ein frischer, leichter Duft nach Zitrone und Bergamotte. Wenn er selbst auch das Ohr an das kalte Metall legte, würde Jean-Loups natürliche, warme, tiefe Stimme vielleicht durch die dicke Tür dringen und noch einmal jene Worte flüstern, die sich wie ein Feuermal in ihre Hirne eingebrannt hatten.
Ich töte …
Er spürte eine maßlose Wut in sich aufsteigen, geschürt von einer abgrundtiefen Frustration wegen all der Opfer dieses Mannes, Jean-Loup, Keiner oder wer auch immer. Es war eine solch unbändige Wut, dass er, dessen war er sich sicher, jetzt imstande gewesen wäre, die Metalltür vor sich mit bloßen Händen zu packen, sie aufzureißen, als sei sie aus Stanniolpapier, dem Mann dahinter an die Gurgel zu gehen und ihn …
Eine Reihe dumpfer, verhaltener Geräusche brachte ihn in die Wirklichkeit zurück, aus der sein flammender Hass ihn fortgetragen hatte. Leutnant Gavin schlug an verschiedenen Stellen mit der Faust gegen die Tür und horchte auf den Widerhall, den seine Schläge produzierten. Dann drehte er sich zu ihnen um. Er hatte schon wieder das Gesicht der wenig erfreulichen Neuigkeiten aufgesetzt.
»Meine Herren, ich hoffe, dass mein Mitarbeiter eine Mammutladung Plastiksprengstoff dabeihat, nur um mich eines Besseren zu belehren. Ich möchte nicht gerne in die Rolle desjenigen schlüpfen, der nichts als schlechte Nachrichten zu verkünden hat, aber ich per517
sönlich würde zuerst einmal versuchen, mit dem Kerl da drinnen Kontakt aufzunehmen, wenn er denn da ist. Man müsste ihm klar machen, dass er entdeckt und seine Lage aussichtslos ist. Verlässt unser Mann den Bunker nicht freiwillig, so wird es, fürchte ich, ziemlich kompliziert, ihn mit Sprengstoff herauszuholen. Um diese Tür zu öffnen, brauchte man eine Ladung, als wolle man ein halbes Gebirge in die Luft jagen.«
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Elfter Karneval
Der Mann ist sicher an seinem geheimen Ort verborgen, in diesem unterirdischen Gehäuse aus Metall und Beton, das vor langer Zeit angelegt wurde, weil jemand Angst vor einem Ereignis hatte, welches nie eingetreten ist.
Seit er dieses Versteck durch Zufall entdeckt hatte, seit er es das erste Mal betreten und begriffen hatte, was es war und wozu es diente, hat er seinen Schlupfwinkel immer perfekt instand gehalten. Die Speisekammer ist bis unter die Decke gefüllt mit Mineralwasser und Dosennahrung. Es gibt ein einfaches, aber effizientes System zum Recyceln von Flüssigkeiten, das es ihm erlaubt, im Notfall seinen eigenen Urin zu filtern und zu trinken. Dasselbe gilt für die Luft, die in einem geschlossenen Kreislauf von Filtern und chemischen Substanzen gereinigt wird und keinen Zustrom von außen benötigt. Seine Lebensmittel- und Wasserreserven sind so reichlich bemessen, dass er hier unten problemlos ein Jahr und länger ausharren könnte.
Nur manchmal, wenn es dunkel ist, geht er hinaus, in der alleinigen Absicht, die reine Luft einzuatmen und den Duft des Sommers, der mit den Gerüchen der Nacht versetzt
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