Ich Töte
Zeit der Welt. Der Junge, der an einem schmalen Baum über dem Abgrund hing, war ihm vollkommen egal, während er wusste, dass der andere es eilig hatte, ihm zu Hilfe zu eilen. Auf diese Eile würde er setzen, um seinen Gegner zu einem Fehler zu verleiten.
Er griff nicht an, sondern wartete, wich jedes Mal, wenn Jean-Loup sich näherte, einen Schritt zurück. Während Jean-Loup sich auf Mosse zubewegte, begann er, mit Pierrot zu sprechen.
»Pierrot, hörst du mich? Ich bin hier, hab keine Angst. Noch einen Moment, dann komme ich.«
Während er den Jungen beruhigte, schienen seine Konzentration und seine Wachsamkeit kurzzeitig nachzulassen. Genau in diesem Augenblick griff Mosse an.
Frank begriff umgehend, dass Jean-Loup genau das bezweckt hatte. Alles geschah in wenigen Sekunden. Mosse täuschte ihn mit einer Finte der Linken und ließ eine Reihe von schnellen Schlägen 560
folgen, die Jean-Loup mit geradezu beschämender Leichtigkeit parierte. Mosse wich einen Schritt zurück. Frank war zu weit entfernt, um die Einzelheiten genau sehen zu können, aber ihm schien, als drücke sich auf dem Gesicht des Captains plötzlich große Überraschung aus. Es folgten probeweise zwei weitere Fausthiebe, dann trat er blitzschnell zu. Frank erinnerte sich, dass Mosse genau diese Attacke gegen ihn eingesetzt hatte an jenem Tag, da sie auf der Zufahrt zu Parkers Villa aneinander geraten waren. Nur dass Jean-Loup Mosse nicht auf den Leim ging, wie es ihm passiert war. Statt den Tritt zu parieren und abzulenken und sich damit der Reaktion des Gegners auszusetzen, wich er, sobald er ihn kommen sah, zur Seite aus und ließ ihn nach oben ins Leere gehen. Dann beugte er das rechte Knie, stützte es auf den Boden, schlüpfte blitzschnell unter Mosses erhobenes Bein und hielt es mit der linken Hand fest, so dass der Körper des Captains nach hinten ein wenig aus der Balance kippte. Dann ließ er seine eiserne Faust in die Hoden des Gegners sausen und versetzte ihm gleichzeitig einen heftigen Stoß.
Frank hörte deutlich das gedämpfte Stöhnen, mit dem Mosse fiel.
Noch lag sein Körper nicht ganz in den Büschen, als Jean-Loup schon wieder auf den Beinen war. In seiner rechten Hand funkelte ein Messer. Die Bewegung, mit der er es gezogen hatte, war so schnell gewesen, dass es Frank schien, er habe es von Anfang an in der Hand gehabt und es erst jetzt gezeigt.
Jean-Loup bückte sich und verschwand in dem Gestrüpp, in das Mosses Körper gefallen war.
Als er sich wieder aufrichtete, war das wilde Tier, das bis zu diesem Moment in ihm gewohnt hatte, verschwunden, und von der Schneide des Messers troff Blut.
Frank konnte nicht sehen, was aus Ryan geworden war, denn in der Zwischenzeit hatte er Jean-Loup und Mosse den Rücken zugewandt und war an der Stelle angelangt, wo Pierrot an seinem Baum hing. Auf dem Gesicht des Jungen erblickte er die Zeichen der Angst, vor allem aber den beunruhigenden Ausdruck von Erschöpfung. Seine Hände, die sich an ihren rettenden Halt klammerten, waren angeschwollen. Er begriff, dass Pierrot nicht mehr lange durchhalten würde. Frank versicherte ihm, dass er nun da sei, und versuchte, ihn mit unbeschwerter Stimme zu beruhigen, um ihm die Sicherheit zu geben, die er selbst nicht empfand.
»Hier bin ich, Pierrot. Jetzt komme ich dir helfen.«
Der Junge war so erschöpft, dass er nicht die Kraft aufbrachte zu 561
antworten. Frank blickte sich um. Er stand an derselben Stelle wie Jean-Loup, als Mosse das erste Mal auf ihn geschossen hatte und als er sich gerade den Gürtel abnahm.
Warum?
Zum zweiten Mal fragte er sich nach dem Grund dieser Maßnahme, mit der er offenbar Pierrot zu Hilfe kommen wollte. Er hob den Kopf und erblickte gut zwei Meter über der Robinie, an der Pierrot hing, einen toten Baum von ungefähr der gleichen Größe. Die Blätter waren schon vor geraumer Zeit abgefallen, und die Äste stakten in den Himmel wie Wurzeln, die aus einer Laune der Natur heraus in die falsche Richtung gewachsen waren. Schlagartig begriff er, was Jean-Loup vorgehabt hatte. Er handelte schnell. Er zog sein Handy aus der Hemdentasche und öffnete den Clip, mit dem das Pistolenhalfter an seinem Gürtel befestigt war. Beides legte er auf den Boden neben die Segeltuchtasche, die Jean-Loup um den Hals getragen hatte.
Die Pistole, die er noch immer in der Hand hielt, schob er sich in den Hosenbund und schauderte leicht, als das harte, kalte Metall seine Haut berührte. Er zog den Gürtel aus der Hose und
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