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Ich Töte

Ich Töte

Titel: Ich Töte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Faletti
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hinknien und keine Bewegung! Sofort!«
    Jean-Loup drehte den Kopf zu ihm. Nichts ließ darauf schließen, dass er Frank erkannt und seine Worte verstanden hatte, geschweige denn, dass er vorhatte, sich danach zu richten. Obwohl er nah genug war, um die Pistole in Franks Händen sehen zu können, kletterte er weiter, schräg nach links hinüber.
    Frank spürte, wie sich sein Finger über dem Abzug der Pistole krümmte.
    556

    Der Schrei ertönte wieder, laut und schrill.
    Jean-Loup antwortete und neigte den Kopf ein wenig nach unten.
    »Halt dich fest, Pierrot, ich bin fast da. Keine Angst, gleich komme ich zu dir hinunter und zieh dich hoch.«
    Frank ließ seinen Blick in die Richtung schweifen, in die Jean-Loup gesprochen hatte. Mit den Händen am kleinen Stamm einer Robinie festgeklammert, die an der Kante eines steilen Absturzes wuchs, hing Pierrot.
    Seine Füße zappelten verzweifelt, um einen Halt zu finden, doch immer, wenn er versuchte, sich an der Erdwand abzustützen, gab der bröckelige Untergrund nach, und er hing wieder im Leeren.
    Die Böschung fiel steil unter ihm ab. Es ging zwar nicht wirklich senkrecht in die Tiefe, doch hätte Pierrot losgelassen, wäre er hinabgestürzt und immer wieder aufgeschlagen wie eine Stoffpuppe, bestimmt zweihundert Meter tief, bis an den Fuß des Abhangs. Wenn er losließ, hatte er keine Chance.
    »Mach schnell, Jean-Loup! Ich kann nicht mehr. Mir tun die Hände weh.«
    Frank sah die Anstrengung im Gesicht des Jungen und hörte die Angst in seiner Stimme. Doch er hörte auch etwas anderes: ein unerschütterliches Vertrauen, dass Jean-Loup, der DJ, der Mörder, die Stimme des Teufels, sein bester Freund, ihn retten würde.
    Frank lockerte den Finger über dem Abzug und senkte seine Pistole ein wenig, während er begriff, was Jean-Loup tat.
    Er floh nicht, er eilte Pierrot zu Hilfe.
    Vielleicht war Flucht seine eigentliche Absicht gewesen. Mit Sicherheit hatte es sich so abgespielt, wie er es sich ausgemalt hatte. Er hatte im Tunnel gewartet, bis der Aufruhr vorbei war, und als er freie Bahn gehabt hatte, war er mit dem Vorsatz aus seinem Loch gekrochen, seinen Jägern von der Polizei ein weiteres Mal zu entkommen.
    Dann hatte er Pierrot in Gefahr gesehen. Vielleicht hatte er sich gefragt, warum Pierrot hier war, an einem Baum hing und mit seiner panischen Kinderstimme um Hilfe schrie, vielleicht auch nicht. Aber in einem einzigen Moment hatte er die Situation begriffen und eine Wahl getroffen. Nun zog er die Konsequenzen.
    Frank spürte eine ohnmächtige, von tiefer Frustration genährte Wut in sich aufsteigen. So lange hatte er auf diesen Moment gewartet, und jetzt war der Mann, den er verzweifelt gesucht hatte, endlich in Schussweite, und er konnte nicht abdrücken. Er hob die Pistole wieder und hielt sie so ruhig, wie er noch nie in seinem Leben eine 557

    Waffe gehalten hatte. Langsam verfolgte er Jean-Loups Körper, der sich auf die Stelle zubewegte, wo sein Freund sich an den Baum klammerte.
    Nun war Jean-Loup bei Pierrot angekommen und stand leicht oberhalb von ihm. Zwischen ihnen befand sich die Bresche, die der Junge bei seinem Absturz in die Böschung gerissen hatte. Es war unmöglich, einfach eine Hand auszustrecken und ihn in Sicherheit zu ziehen.
    Mit seiner tiefen, warmen Stimme sprach Jean-Loup zu dem Jungen.
    »Ich bin hier, Pierrot. Ich komme. Keine Angst, es wird alles gut gehen. Halt dich gut fest, und bleib ganz ruhig, ja?«
    Trotz seiner prekären Lage antwortete Pierrot mit dem typischen Nicken. Seine Augen waren vor Angst weit aufgerissen, doch er war sicher, dass sein Freund alles in Ordnung bringen würde.
    Frank sah, dass Jean-Loup seine Umhängetasche abnahm, sie auf den Boden legte und sich den Gürtel aus der Hose zog. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, was er vorhatte, um Pierrot aus seiner verzweifelten Lage zu retten. Das Einzige, was er selbst tun konnte, war abzuwarten und ihn weiterhin mit der Pistole unter Kontrolle zu halten.
    Gerade hatte Jean-Loup seinen Ledergürtel durch die letzte Lasche gezogen, als ein Geräusch zu hören war, das wie das laute Zischen eines Blasrohrs klang. Neben Jean-Loup stob Erde auf. Im selben Moment hatte er sich schon geduckt, und diese instinktive Bewegung war es, die ihm das Leben rettete.
    Genau an der Stelle, an der eben noch sein Kopf gewesen war, zischte es von neuem, und wieder stob Erde auf. Mit einem Ruck fuhr Frank herum und blickte nach oben. Am Rand der Böschung, direkt unterhalb der

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