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Ich Töte

Ich Töte

Titel: Ich Töte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Faletti
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sah die Hand ihres Vaters Nathan Parker wie eine Klaue über ihr schweben.
    Seine Wut und sein Hass kamen ihm zu Hilfe. Er biss die Zähne zusammen und sammelte die allerletzte Kraft, die ihm noch verblieben war, bevor sie sich endgültig in Luft auflöste wie der weiße Rauch eines Schornsteins. Mit einem Ruck aus dem Becken begann er, sich zu zwingen, seinen Körper unter größtmöglicher Mithilfe der Arme hochzuziehen. Die Bauchmuskeln, der einzige Teil des Körpers, der noch nicht im Einsatz gewesen war, riefen ihm sofort in Erinnerung, welchen Schmerz Muskeln unter Anspannung hervorrufen konnten.
    Er sah das trockene Holz des Baumes langsam auf sich zukommen wie eine Fata Morgana. Als es erneut krachte, musste er daran denken, dass sich wie jede auch diese Fata Morgana unversehens in nichts auflösen konnte. Er zwang sich, ganz langsam und ohne ruckartige Bewegungen nach oben zu kommen, um seinen wackligen Halt nicht übermäßig zu strapazieren.
    Endlich krallte sich seine linke Hand um den Stamm, und gleich darauf auch die rechte. Irgendwie gelang es ihm, sich hochzuziehen, bis er saß. Das Blut wich so plötzlich aus seinem Kopf, um in seine gewohnten Bahnen zurückzukehren, dass ihm schwindlig wurde. Er schloss die Augen und wartete auf ein Nachlassen des heftigen Anfalls. Gleichzeitig hoffte er inständig, dass der trockene Schwamm, in den sich seine Lunge verwandelt hatte, mit all der Luft fertig würde, die er einatmete.
    Eine Weile blieb er so sitzen, im tröstlichen Dunkel seiner geschlossenen Lider, die Arme um den Stamm geschlungen, die Wange an die raue Rinde gelehnt, bis er merkte, dass seine Kräfte zumindest teilweise in ihn zurückgekehrt waren.
    Als er die Augen wieder öffnete, sah er Pierrot ein paar Meter vor sich auf der ebenen Erde. Er stand neben Jean-Loup und hatte ihm die Arme um die Hüfte geschlungen, als habe das Erlebnis, im Leeren zu baumeln, in ihm das Bedürfnis geweckt, sich an irgendetwas oder irgendjemandem ganz fest zu halten, um sich seiner Rettung 566

    sicher zu sein.
    Jean-Loup hatte ihm den linken Arm um die Schultern gelegt. In der rechten Hand hielt er das blutige Messer. Einen Augenblick lang fürchtete Frank, dass er den Körper des Jungen als Schutzschild benutzen, dass er ihm das Messer womöglich an den Hals setzen und ihn als Geisel benutzen könnte. Gleich darauf verwarf er diesen Gedanken. Nein, nicht nach dem, was er kurz zuvor erlebt hatte.
    Nicht nachdem Jean-Loup jede Möglichkeit zu fliehen in den Wind geschlagen hatte, um Pierrot zu Hilfe zu eilen. Er fragte sich, was wohl aus Ryan Mosse geworden war. Im selben Moment wurde ihm klar, dass ihm sein Schicksal im Grunde vollkommen egal war.
    Er bemerkte eine Bewegung etwas weiter oben am Hang und schaute instinktiv hinauf. Am Straßenrand, direkt hinter der Leitplanke, sah er mehrere Personen vor ein paar geparkten Autos stehen. Vielleicht hatten Pierrots Schreie ihre Aufmerksamkeit geweckt, oder, was noch wahrscheinlicher war, eine Gruppe Touristen hatte zufällig an dieser Stelle angehalten, um die Aussicht zu bewundern, und hatte von dort aus die dramatische Rettungsaktion verfolgt. Auch Jean-Loup wandte den Kopf und folgte Franks Blick.
    Auch er sah vierzig Meter über ihnen die Leute und die parkenden Autos. Seine Schultern schienen sich ein wenig zu beugen, als laste plötzlich ein unsichtbares Gewicht auf ihnen.
    Frank stützte sich am Baumstamm ab, stand auf und kletterte denselben Weg zurück, auf dem er vorhin gekommen war. Er verabschiedete sich von dem leblosen Holz mit einer Dankbarkeit, die man für einen treuen Freund empfindet, der einem in schwieriger Lage aus der Patsche geholfen hat. Unter den Fingern spürte er lebendig die Berührung mit den Ästen des Gebüschs, die er als Halt benutzte, um seine Füße wieder auf die Erde zu setzen, die Rettung, die Welt der Horizontalen.
    Als er dort war, standen Jean-Loup und Pierrot vor ihm und blickten ihn an. Frank begegnete dem grünen Blitz von Jean-Loups Augen, die ihn fixierten. Er fühlte sich erschöpft. Er wusste, dass er nicht die geringste Chance hatte, den Kampf mit diesem Mann aufzunehmen. Nicht in diesem Zustand der Schwäche, nicht nachdem er ihm zuvor beim Kampf gegen Mosse zugesehen hatte.
    Vielleicht erriet Jean-Loup die Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen. Er lächelte, und dieses Lächeln erhellte ein Gesicht, das plötzlich sehr müde aussah. Hinter der einfachen Bewegung seiner Gesichtszüge gab es Dinge, die Frank nur ganz

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