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Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich

Titel: Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Bettermann
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nieder: Die Geschichten, die hierals Grimms Märchen bekannt sind, gehören offenbar nicht allein zum deutschen Erzählschatz – ich hörte sie alle zuerst auf Griechisch von Yiayia, die kaum je etwas von den Gebrüdern Grimm gehört haben dürfte, und so lernte ich das Schneewittchen zunächst als Chionati und das Aschenputtel als Stachtopoula kennen.
    Es gab aber auch griechische Geschichten, etwa die von der Krähenmutter und der Nachtigallenmutter: Einmal bittet die schöne Nachtigall die hässliche Krähenmutter, ihrem Kind das vergessene Pausenbrot in die Schule zu bringen: »Du erkennst mein Kind daran, dass es das schönste ist und die schönste Stimme besitzt«, sagt die Nachtigall.
    Endlich kehrt die Krähenmutter zurück: »Liebe Nachtigall, ich habe überall gesucht, doch dein Kind konnte ich nirgends finden«, sagt sie. »Auf dem ganzen Schulhof war nur ein schönes Kind, das eine wohlklingende Stimme besaß. Aber das war mein eigenes«, so die Krähe.
    Mein Bruder war bei Yiayias Ankunft so klein, dass er noch gar nicht sprechen konnte. Der Sprachenwirrwarr in unserer Familie brachte ihn derart durcheinander, dass es erst einmal dabei blieb – er sprach weder Deutsch noch Griechisch. Wenn Yiayia Märchenstunde abhielt, hockte er dennoch gebannt vor uns auf dem Boden und ließ sich von Yiayias weicher Stimme einlullen. Manchmal packte er dann eines ihrer dicken Beine, drückte es mit aller Kraft und machte: »Liiii, liiii.«
    »Was chat das Kiend?«, sorgte sich Mama. »Was will er?« Schließlich kam sie darauf, dass mein Bruder zum Ausdruck bringen wollte, wie sehr er die Yiayia liebte.
    Wenn mein kleiner Bruder nach dem Mittagessen nicht einschlafen konnte, baute Yiayia ihm eine Hängematte auf dem Balkon: Dort war eine Wäscheleine gespannt, an dieser befestigte sie mit einer speziellen Falttechnik eine Decke – so, wie man es in Griechenland und Kleinasien zu ihrer Zeit aufdem Lande zu tun pflegte. Yiayia und ich hockten uns daneben und sangen meinen Bruder mit einem griechischen Schaukellied in den Schlaf: Kounia, bela. Man hörte dieses Lied auch auf griechischen Spielplätzen. Es handelt sich dabei um ein ziemlich grausiges Stück, bei dem es darum geht, dass dem schaukelnden Kind der Kopf zerbricht und daraus ein junges Mädchen entsteigt, das Stella heißt – so wie ich. Darum war das als Kind mein griechisches Lieblingslied.
    Aus Decken und Besenstielen baute Yiayia uns außerdem Zelte, das sollten Indianertipis sein. Sie malte uns mit Mamas Lippenstift Kriegsbemalung auf die Gesichter und lehrte uns den Indianertanz: Dazu wedelte sie abwechselnd mit der linken oder rechten Hand in der Luft.
    Wenn Nachbarsmädchen zu Besuch kamen, spielten wir nifes, Bräute, das liebste Spiel kleiner griechischer Mädchen. Aus einem Gardinenrest nähte Yiayia einen Schleier (ich half ihr und legte Nadel und Faden in ein Plastikkästchen ein, das das Einfädeln übernahm und zu diesem Zweck für Blinde verkauft wurde). Unzählige Vermählungen fanden in meinem Kinderzimmer statt. Nach der Trauung gab es aus meinem Puppengeschirr Schokolade mit der koubara , Trauzeugin. Nur der Bräutigam – mein Bruder – spielte nie richtig mit, sondern stieß die Tassen um oder riss am Schleier, so dass er während der Zeremonie ins Wohnzimmer verbannt werden musste.
    »Was sie sich alles einfallen lässt!«, schwärmte Papa über die Yiayia. »Sie ist die beste Oma, die man sich vorstellen kann.« »Als Mutter war sie ganz anders«, sagte Mama. Streng sei die Yiayia gewesen und laufend krank, »dann musste ich die Wäsche für die ganze Familie waschen, und da war ich noch klein«, klagte Mama. Die Yiayia sei überfordert gewesen.
    Als Yiayia mit neunzehn Jahren heiratete, musste sie nicht nur ihren Mann, sondern auch seinen Bruder und seinenVater, den alten Pappous, versorgen. Dabei war sie als verwöhnte Tochter aus gutem Hause groß geworden und an die viele Arbeit nicht gewöhnt. Ihr erstes Kind, den kleinen Konstantin, verlor sie durch ein Fieber, als er ein Jahr alt war: »Die Ärzte sagten immer: Haltet ihn warm und gebt ihm Warmes zu trinken. Dabei hätte er Kaltes gebraucht. Die Hitze hat ihn umgebracht«, erzählte Yiayia – das ging ihr noch nach, als sie schon alt war. Ein weiteres Kind kam tot zur Welt, weil Yiayia im achten Schwangerschaftsmonat verunglückt war – ein Radfahrer hatte sie zu Boden gerissen. Sie hatte eine Vertreibung und zwei Weltkriege erlebt, und als Giorgos, Mama und Michalis auf

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