Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich
vor. Zu Hause saß sie am Klavier und machte Stimmübungen, die gingen so: Ninininiiiiiii, Nanananaaaaaa. Allein das erforderte Stunden. Papa arbeitete in einem Ingenieurbüro. Unser Kindermädchen war eine ältere Dame, die wir Omi nennen mussten, die aber alles andere als eine liebevolle Ersatzgroßmutter war – Omi Neumeier vertrat einen äußerst autoritären Erziehungsstil: Ihrer Meinung nach mussten Kinder schweigen, wenn Erwachsene sprachen, sie mussten ihre Teller leer essen, auch wenn sie satt waren, und wenn sie abends auf uns aufpasste, steckte sie uns bereits am helllichten Tag – um neunzehn Uhr – ins Bett, obwohl Mama und Papa das gar nicht verlangten. Nach der Erfahrung mit Omi Neumeier entwickelte Mama ein tiefes Misstrauen gegen deutsche Erziehungsregeln.
Yiayia war nicht nur niemals von ihrem Mann getrennt gewesen – sie hatte auch noch nie das Ausland besucht (zumindest wenn man Kleinasien, also die Türkei, in der sie aufgewachsen war, nicht mitzählte). Und sie sprach kein Deutsch. Sie war außerdem alles andere als rüstig – sie hatte Rheuma, einen empfindlichen Magen, und außerdem war sie ja so gut wie blind. Unter diesen Voraussetzungen war eigentlich schon die lange Anreise allein mit dem Zug – drei Tage und drei Nächte – eine Zumutung. Nicht aber für Yiayia, meine abenteuerlustige Oma, die schon die vergleichsweise kurzen Reisen auf die Inseln vor Athen so ausnehmend genießen konnte. Ich kann sie mir gut vorstellen, wie sie in ihrem Abteil saß und die Mitreisenden auf der Fahrt durch Jugoslawien ansprach: »Ich rieche Heu, da draußen scheinen Bauern auf den Feldern gerade zu mähen.« »Ja, genau!«, würden die Mitreisenden antworten. »Ahh, habe ich’s mir doch gedacht«, hätte Yiayia dann bestimmt gesagt, während vor ihrem inneren Auge die abgemähten Felder vorbeizogen, »meine Nase trügt mich nie.«
Reisen versetzten Yiayia in Euphorie – in ihrer Vorfreude liebte sie es sogar, ihre Koffer zu packen. »Niemand packt Koffer so perfekt wie Yiayia«, sagte Mama immer. In penibelster Ordnung schichtete sie alles in die Taschen, so dass besonders viel hineinpasste; sie war stets bestens ausgerüstet und hatte doch nie zu viel dabei. Nach Monacho kam sie mit nur zwei Koffern.
Mit Yiayias Ankunft zog ein kleiner Vogel in unsere Wohnung, der Süßigkeitenvogel: Jeden Morgen, wenn ich aufwachte und im Bett unter mein Kissen langte, lagen da ein paar Gummibärchen oder ein kleiner Haufen rosa und weißer Schokolinsen. »Wo kommen die her?«, fragte ich immer wieder. »Die hat das poulaki , Vögelchen, gebracht«, behauptete Yiayia mit ernstem Gesicht.
»Und wo ist das poulaki jetzt?«
»Das ist ganz früh davongeflogen, denn es ist sehr scheu – aber morgen früh kommt es sicher wieder!«
Im Winter durften wir das poulaki mit Brotkrümeln füttern. Wir streuten die Krümel auf das Fensterbrett unseres Kinderzimmers, dann warteten wir hinter dem verschlossenen Fenster auf Amseln und Meisen. Die Brotkrümel mussten allerdings feucht sein, bevor wir sie auf das Fensterbrett legten: »Wenn Vögel trockene Krumen aufpicken, quillt das Brot in ihren Mägen auf. Dann platzen die armen Vögelchen«, sagte Yiayia. Ich glaube kaum, dass an dieser Theorie etwas dran ist, doch wenn ich als Kind Leute beobachtete, die Enten mit trockenem Brot fütterten, blickte ich mich immer um, um zu sehen, ob irgendwo geplatzte Tiere herumlagen.
Ich konnte noch nicht wirklich gut Griechisch, als Yiayia zu uns kam – Mama sprach zu Hause ja immer Deutsch mit Papa und uns. Die paar Brocken, die ich beherrschte, hatte ich bei den Griechenlandreisen aufgeschnappt. Einmal war ich angeblich als ganz kleines Kind mit Mama in Piräus auf dem Markt unterwegs, wo ich um einen Apfel bettelte. Mama hatte es allerdings eilig und ignorierte mich, bis ich dann laut und vernehmlich plötzlich in klarstem Griechisch »Mama, thelo ena milo, Mama, ich will einen Apfel« ausrief – so erzählt Mama es zumindest immer, allerdings denke ich, dass ihr die Erinnerung dabei einen Streich spielt. Nach Yiayias Ankunft aber beherrschte ich die Sprache in kurzer Zeit, und das ist wohl tatsächlich wahr, denn ich kann mich noch an Yiayias Märchen erinnern.
Mama und Papa hatten zu viel zu tun, um uns Geschichten zu erzählen. Das übernahm jetzt Yiayia. In unserem Kinderzimmer gab es eine große Spielzeugtruhe vor der Heizung an der Ecke, die polsterte sie mit Kissen, und wir ließen uns darauf zur Märchenstunde
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