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Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich

Titel: Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Bettermann
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der Welt waren, legte Yiayia sich immer öfter zu Bett; sie war müde und krank geworden.
    Yiayia war vor der Zeit gealtert – wie eine uralte Frau mit tausenden Fältchen sah sie aus, ihr Haar war grau, und sie bewegte sich wie eine Greisin – da war sie noch unter fünfundsechzig. Mit uns Kindern aber holte sie alle Spiele nach, die sie bei den eigenen Kindern verpasst hatte, und sie genoss sie, als wäre sie selbst wieder ein Kind. »Es ist die Blindheit, die Yiayia verändert hat«, glaubte Mama. »Sie hat sie milde gemacht.« Wir kannten sie als die liebenswürdigste Frau der Welt.
    Was Yiayia in Deutschland am schönsten fand, war die Landschaft: Das üppige Grün überall, das sie sehr wohl wahrnehmen konnte, wenn auch nur verschwommen – und den Duft der Bäume und Blätter. Die Gegend muss sie an ihre alte Heimat Kleinasien erinnert haben, wo alles so üppig wächst wie in Deutschland. Sie begleitete uns auf unsere Sonntagsausflüge, dort war es, wo sie mich in Pflanzenkunde unterrichtete – Yiayia war ja auf einem Landgut aufgewachsen, sie kannte sich in der Natur aus. Sie sammelte Kamille für den Kamillentee und Minze, und ich half ihr jungen Löwenzahn zu suchen. Daraus machten wir zu Hause Salat, oder wir brühten dieBlätter heiß ab – so entstanden griechische Chorta , die Yiayia mit Zitronensaft und Olivenöl beträufelte. Ich weiß noch, wie wir einmal an einem kalten Frühjahrstag am Waldrand saßen, irgendwo in Oberbayern in der Nähe von Glonn muss es gewesen sein, denn da bestellten die Eltern nach dem Spaziergang regelmäßig Schweinebraten in ihrem Lieblingsgasthof »Der große Wirt«. An jenem Tag pfiff ein scharfer Wind, und ich hatte keine Mütze dabei. Da schlang Yiayia mir eine der sauberen Stoffwindeln meines Bruders als Kopfbedeckung um den Kopf, und so sah ich aus wie die Landarbeiterinnen in ihrer Kindheit: »Jetzt bist du eine kleine choriatissa , ein Bauernmädchen.«
    Yiayia begleitete Mama auch ab und an in die Münchner Innenstadt zu Einkäufen – es gibt ein Foto von ihr, wo sie am Münchner Stachus posiert. Sie trägt darauf ein dunkelblaues Kostüm und ihre große Bernsteinbrosche und hat ihre dunkle Sonnenbrille aufgesetzt – das tat sie immer, wenn sie sich schick machte, damit man ihre blinden Augen nicht sehen konnte, die von trüben grauen Schlieren überzogen waren. Und manchmal nahm sie zu Hause ihren abgegriffenen schwarzen Ledergeldbeutel in die Hand und ächzte allein die vielen Stufen aus dem dritten Stock hinunter und weiter in den Milchladen oder zum Supermarkt, um kleine Einkäufe zu machen. Irgendwie kam sie zurecht, es war ja offensichtlich, dass sie blind war – da waren die Leute hilfsbereit, wenn sie einen auswendig gelernten Satz aufsagte und beispielsweise: »Bonbon, bieete, wo ist?«, fragte.
    Ansonsten war sie aber wohl die meiste Zeit im Haus. Es muss einigermaßen eng in unserer Wohnung gewesen sein; Yiayia schlief bei uns im Kinderzimmer. Papa hatte sich mittlerweile beruflich selbstständig gemacht, er arbeitete in der Wohnung in seinem Büro, das immer voll dichter Rauchschwaden stand. In unserer Rumpelkammer zwischenKinderzimmer und Schlafzimmer kopierte Papa die Pläne von seinem Zeichenbrett mit einem giftigen chemischen Verfahren, das damals dazu nötig war, darum nannte er die Kammer zum Spaß »Dunkelkammer«. (Noch heute glaubt Mama, Dunkelkammer sei das korrekte Wort für Rumpelkammer.) Oft kamen sein Kompagnon, Architekten, Bauherren und Handwerksmeister zu Besprechungen. Yiayia sagte dann zu jedem »Kriss Kott« und kochte in unserer Küche Mokka, den sie auf einem kleinen Tablett servierte und der immer reißenden Absatz bei Papas Geschäftskollegen fand. Und sie scheuchte uns ins Kinderzimmer, wo wir ganz leise spielen mussten. Yiayia lehrte uns, den Ball im Haus nie hopsen zu lassen – wir saßen mit ihr auf dem Boden und spielten Spiele, bei denen er gerollt wurde. Grundsätzlich war lautes Spielen bei uns im Haus nicht gestattet, es waren noch die Sechzigerjahre, die Nachbarn beschwerten sich bei jedem Laut. Da war es schon schlimm genug, dass Mama für ihre Stimmübungen immer auf dem Klavier den Ton anstimmen musste – und auch das war ihr nur zu bestimmten Zeiten erlaubt.
    Auf den Spielplatz begleitete Yiayia mich nie, das hätte sie überfordert, aber das war kein Problem: Damals gingen auch kleinere Kinder alleine raus. Ich wurde schon als ich vier war immer von dem Nachbarsjungen mit hinuntergenommen, der war fünf.

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