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Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Titel: Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelle Groom
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Jahren war das hier alles dunkle Straße.«
    Einmal war ich schon hier, damals war ich siebzehn. Holly, meine Freundin vom Bridgewater State College – Nicoles Zimmergenossin –, verbrachte den Sommer auf dem Zeltplatz von Falmouth mit ihrer Mutter in einem Wohnwagen. Eine Gruppe von Kindern, mehrere Familien, die jedes Jahr kamen. Sie hatte mich eingeladen. Ich kam vor Holly auf dem Zeltplatz an, vor meinem Freund, Burgess, der mein Freund wurde, weil er der beste Freund ihres Freundes war. Ich wartete an einem Picknicktisch, flüsternd übergangen von Dutzenden Jugendlichen, so alt wie ich, vielleicht ein bisschen älter. Eine Versammlung, die in »The Lottery« vorkommen könnte – es war ein sonniger Tag, ich konnte mir vorstellen, wie sie mit trägen Bewegungen im Gras Steine zusammensuchten, um mich zu steinigen. Dann kam einer von Hollys Freunden, Tommy, zu mir rüber. Der erste Junge, den ich traf, dessen Aufmerksamkeit für mich nicht seiner eigenen Einsamkeit entsprang, zwischen uns kein Fluss. Er setzte sich zu mir an den Tisch und sprach freundlich und entspannt mit mir. Normal. Sein Haar gelockt wie meins, aber schwarz, weich wie Wimpern.
    Am Nachmittag brach Tommy nach Martha’s Vineyard auf, und ich blieb im Wald, bei Burgess, auf seiner Party, die bis tief in die Nacht dauerte. Um den Hals trug ich den Opal, den Burgess mir geschenkt hatte, im dunklen See schwamm ich auf ihn zu, konnte ihn kaum ausmachen. Aber als Burgess losfuhr, um mehr Bier zu besorgen, mit seinen Freunden, die mich immer noch geflissentlich übersahen, als wären sie die ursprünglichen Pilgrim Brothers, hörte ich, dass die anderen Jungen von der Insel zurück waren. Tommy kam, und wir setzten uns irgendwie von den anderen ab. Der Boden wie eine Rolltreppe auf dem sandigen Pfad im Wald. Seine Worte im Inneren, die verschwanden, wo die Bäume endlich zusammenschlugen. Ich wollte bei ihm bleiben. Aber Burgess kam mit seinen unfreundlichen Freunden zurück und sagte: »Steig ein, wenn du mitkommen willst.« Tommy wohnte mit seiner Schwester und Mutter in einem Zelt, wo sollte ich schlafen? Sand in meinen umgeschlagenen Jeans. Ich stieg in den Jeep, doch später in dem Sommer ließ Burgess mich bei einem Konzert in Hyanis sitzen, und Holly sagte: »Du musst um ihn kämpfen.« Aber er hatte einen verschwommenen Blick, als er eins der Pilgermädchen küsste. Und wenn wir zusammen waren, war das Tageslicht zu realistisch, wie in Finnland, eine fortlaufende Dokumentation – im Wald schien ein Mord unmittelbar bevorzustehen, das Meer, das ich liebte, wurde fahl und mager. Wir waren nur in der Stille der Nacht gut: Clapton, Alkohol, Sex. Ein sonniger Typ, aber für mich strahlte er nicht. Ich wünschte, ich wäre das Mädchen gewesen, das winkte und sagte:
Ich fahr woanders mit,
das Mädchen, das zwischen den Bäumen verschwand.
    In der Küche im Haus meiner Tante und meines Onkels sind viele Menschen versammelt: Ellen, die Tante meines Onkels, die Schwestern meiner Tante, ihr Nachbar Cliff, den ich zwei Jahre zuvor kurz kennengelernt habe, in seinem lachsroten Hemd. Noch andere. Sechs Hunde. Wieder bin ich am Rand – sie kennen mich nicht, wissen nicht, warum ich gekommen bin. Vor Stunden schon waren sie mit ihrem Feiertagsessen fertig, aber sie sind geblieben, um mich zu begrüßen. »Sie war ein kleines Mädchen, als ihr sie das letzte Mal gesehen habt«, sagt Julia zu ihren Schwestern, die der Größe und dem Ausdruck nach wie Zwillinge aussehen. Eine sagt: »Du hast in Newton einen Freund.« Als wäre das der Grund für meinen Besuch. Julia ist sechzig, aber immer noch so hübsch – ihr zartes, feines Gesicht. Das Gesicht eines Mädchens. Einer Heldin.
    Ihr Haus ist kein Palast, aber es fühlt sich wie einer an. Viele Zimmer, mehrere Treppenhäuser, Kamine. Mit den vielen Menschen könnte das hier ein Tschechow-Stück sein. Tschechow, der mit seiner Brille wie Eric Clapton aussieht. Die Verwandten und die Gäste gehen jetzt. »Es liegt nicht an dir«, sagen mehrere Frauen, wie Echos, und lachen. Julia füllt mir einen Teller. Ich komme mir wie ein Bettler vor. Zu meinen Füßen, die ich auf die Querstreben des Barhockers stütze, die Hunde. Losgelöst vom Fußboden, könnte mein Körper schweben, könnte sich auf den Kopf drehen.
Entschuldigt,
sage ich,
entschuldigt.
    Die Wände sehen wie Teller aus, zerbrechlich. Ich habe keinen Hunger, aber ich kaue. Meine Tante und mein Onkel sitzen rechts und links von mir. Ein Feuer

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