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Ich und andere uncoole Dinge in New York

Ich und andere uncoole Dinge in New York

Titel: Ich und andere uncoole Dinge in New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia K. Stein
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und glücklicher fühlen sollen. Ich würde gern noch schlafen, aber das habe ich die ganze Nacht schon nicht getan, weil ich abwechselnd von vier Mücken angegriffen worden bin, die Matratze eine harte Holzplatte ist und die Ritzen in den Wänden unseres Blockhauses so groß sind, dass auch genveränderte Riesenspinnen jederzeit bequem hindurchkriechen können. Außerdem liegt ein strenger Geruch in der Luft, der von den Felldecken ausgeht, die an die Wand genagelt sind und gestern auf den Betten gelegen haben. Diese Deko aus Tierleichen hätten sie sich sparen können. Ein paar Rentierhaare kleben sogar auf meinem Laken. Wobei die Haare mutiert aussehen. Vielleicht sind es gar keine Rentierhaare, was das Ganze nicht appetitlicher macht. Mir läuft ein Schauer über den Rücken und ich stehe endlich auf. Rachels schmutziger, nackter Fuß ragt unter ihrer Decke hervor. Sie hat die Felldecke noch nicht mal weggelegt.
    „Los, gleich müssen wir den Berg hochhechten, du Murmeltier.“ Ich tippe ihr auf die Schulter.
    „Noch ein bißchen ….“, murmelt Rachel, deren Tiefschlaf weder drohende Taranteln noch Rentiergestank etwas anhaben können.
    Kurz später sammeln wir uns alle in Regenjacken und Turnschuhen und marschieren los. „Keine elektronischen Geräte“ ist das Motto und alle ziehen lange Gesichter oder schuldbewusste, weil sie irgendetwas eingeschmuggelt haben. Nur Gretchen hat gute Laune.
    „Ist doch ein super Training hier. Ich möchte unbedingt auf den Mount Everest. Einmal muss man das gemacht haben“, sagt sie, als sie an mir vorbeihechtet.
    „Du kannst richtig Bergsteigen?“, frage ich. Dabei trete ich in eine Pfütze und das Schmutzwasser spritzt mir bis ins Gesicht.
    „Noch nicht, aber das ist heute kein Problem mehr.“ Gretchen springt über die breite Pfütze wie ein junges Reh. „Ich übe derzeit an der Kletterwand in meinem Studio und im Sommer mache ich einen Sechs-Wochen-Intensiv-Kurs in den Alpen.“
    „Aber auf dem Mount Everest sterben doch jedes Jahr Leute, die nicht genügend vorbereitet sind?”
    „Stimmt, auf dem Weg nach oben liegen haufenweise Leichen. Die meisten nackt, weil denen kurz vorm Erfrieren total heiß wird. Das ist dann aber schon das irreversible Stadium“, stellt Gretchen sachlich fest.
    „Aber könntest du nicht auch als Gefrier-Leiche enden, wenn du in nur ein paar Wochen Bergsteigen lernst?“, bemerke ich vorsichtig.
    „Das ist alles eine Frage des Geldes, des Trainings und des Führers. Ich bin letztes Jahr einen Marathon gelaufen und war auch nie ein großer Läufer. Für den Aufstieg brauchst du sechzigtausend Dollar und einen Top Guide.“
    „Aber warum willst du unbedingt da hoch?“
    „Höher geht’s nicht. Das ist doch der Kick“, sagt Gretchen und sieht mich an, als wäre das eine unfassbar dumpfbackige Frage.
    „Ich würde gern mal durch Nepal trecken“, wirft Rachel ein, die zu uns gestoßen ist.
    Gretchen nickt eifrig und ihre Zöpfe wippen auf und nieder. „Nepal ist geil. Ich habe mal eine Fahrrad-Tour durch China gemacht, da waren wir vorher in Nepal zum Speed-Trecking. Das war super.“ Sie strahlt und legt dabei ihre gesunden, etwas großen Zähne frei und ihre Wangen leuchten wie rote Äpfel.
    „Kann ich dich mal etwas über Ben fragen?“, sagt sie dann viel leiser und vertraulich und verlangsamt ihren Schritt noch einmal, um neben mir zu gehen.
    „Ja?“ Das gibt’s doch nicht, dass sie gerade mir etwas anvertrauen will.
    „Er ruft mich ständig an und will mit mir ausgehen. Ich will nicht.“
    „Aber das musst du doch auch nicht“, sage ich zögernd. Ich will Ben natürlich nicht in den Rücken fallen und winde mich unter ihrem Blick.
    „Er gibt nicht auf.“
    Ich zucke mit den Schultern. Armer Ben.
    „Es ist ganz einfach: Die Business-Welt ist kleiner, als man denkt. Ich will es mir nicht mit ihm verderben. Für mich kommen aber nur reiche Männer in Frage.“
    Ich kann mir vorstellen, dass Gretchen eine Liste mit logischen Gleichungen aus Vor- und Nachteilen erstellt, um zu entscheiden, mit wem sie ausgeht. In dieser Hinsicht passt sie eigentlich wunderbar zu Ben. Aber so wie ich das verstehe, hat Benjamins Familie einen Haufen Geld. Das werde ich Gretchen allerdings nicht auf die Nase binden. Selbst Schuld.
    „Weißt du, ich will einfach niemals arm sein. Ich werde den heiraten, der mir den größten Diamanten von Tiffany auf meinen Verlobungsring setzen lässt.“ Sie kichert aufgedreht bei der Vorstellung.

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