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Ich und Earl und das sterbende Mädchen: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Ich und Earl und das sterbende Mädchen: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Ich und Earl und das sterbende Mädchen: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesse Andrews
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müssen und er sich am liebsten die Pulsadern aufschneiden möchte. In den ersten zehn Minuten unserer Essenspause schüttelt er zu allem, was ich sage, wütend den Kopf. Dann kriegt er sich irgendwann wieder ein.
    »Also triffst du dich jetzt mit diesem Mädchen«, sagte er am Tag nach meinem unerquicklichen Besuch in der Cafeteria.
    »Ja.«
    »Zwingt dich deine Mom immer noch?«
    »So ziemlich, ja.«
    »Sie stirbt oder was?«
    »Na ja«, sagte ich. Ich wusste nicht richtig, was ich dazu sagen sollte. »Ich meine, sie hat Krebs. Aber sie glaubt nicht, dass sie sterben wird, darum habe ich irgendwie ein schlechtes Gewissen, wenn wir zusammen sind, weil ich die ganze Zeit denke: Du stirbst du stirbst du stirbst du stirbst.«
    Earl schaute mich ungerührt an. »Jeder stirbt«, sagte er. Tatsächlich sagte er: »Je’er stirb«, aber das sieht geschrieben irgendwie bescheuert aus. Wie funktioniert das Schreiben überhaupt? Ich hasse das hier.
    »Genau«, sagte ich.
    »Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?«
    »Eigentlich nicht.«
    »Doch, glaubst du.« Earl klang, als sei er sich ziemlich sicher.
    »Nein, tu ich nicht.«
    »Nie im Leben glaubst du nicht an kein Leben nach dem Tod.«
    »Das ist – äh, das ist eine dreifache Verneinung«, sagte ich, um ihn zu nerven. Was blöd war, weil man nicht auch noch üben sollte, andere Leute zu nerven.
    »Fick dich, Mann. Du hältst dich für zu schade fürs Leben nach dem Tod.«
    Wir aßen. Earls Lunch bestand aus Gummibärchen, Kartoffelchips, Keksen und Coke. Ich nahm mir ein paar von seinen Keksen. »Das checkst du doch gar nicht, Mann, kein Leben nach dem Tod. Das kannst du nicht im Ernst glauben, dass du hinterher nicht weiterlebst.«
    »Ich habe ein sehr mächtiges Gehirn.«
    »Ich tret diesem Gehirn gleich den Kopf ein«, sagte Earl, während er aus unerfindlichen Gründen mit den Füßen auf den Boden hämmerte.
    Mr. McCarthy kam herein.
    »Greg. Earl.«
    »Was geht ab, Mr. McCarthy?«
    »Earl, dein Lunch ist Schrott.« Mr. McCarthy gehörte zu den ungefähr vier Leuten auf der Welt, die so was zu Earl sagen durften, ohne dass er ausrastete.
    »Wenigstens trink ich nicht irgendeine abgedrehte, seetangmäßige … Tentakel suppe aus der Thermosflasche.«
    Aus irgendeinem Grund waren Earl und ich damals schwer von Tentakeln fasziniert.
    »Genau, ich will nur mal eben das Orakel nachfüllen.«
    In diesem Augenblick registrierten wir die Heizplatte auf seinem Schreibtisch.
    »Im Lehrerzimmer verlegen sie neue Leitungen«, erläuterte Mr. McCarthy. »Das, meine Knaben, ist die Quelle jeglicher Weisheit. Blicket tief hinab in die Wasser des Orakels.«
    Wir schauten in Mr. McCarthys riesigen Suppentopf. Earls Beschreibung hatte es ziemlich auf den Punkt gebracht; die Nudeln sahen aus wie Tentakel, und dazwischen schwamm eine Menge glitschiges und blättriges grünes Zeug herum. Tatsächlich sah es aus, als enthalte der Topf ein ganzes Ökosystem. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn auch Schnecken mit dabei gewesen wären.
    »Das ist eine Pho «, sagte Mr. McCarthy. »Wobei ›Pho‹ anscheinend ›föah‹ ausgesprochen wird.«
    »Kann ich mal kosten?«, fragte Earl.
    »Nee«, sagte Mr. McCarthy.
    »Mist«, sagte Earl.
    »Ich darf euch nichts zu essen geben«, entschuldigte sich Mr. McCarthy. »Das gehört zu den Dingen, die sie bei Lehrern wirklich nicht gerne sehen. Sehr schade. Earl, ich kann dir ein vietnamesisches Restaurant empfehlen, wenn du magst. Thuyen’s Saigon Flavor, drüben in Lawrenceville.«
    » Lawrenceville , ich kann mich noch beherrschen«, sagte Earl abfällig.
    »Earl weigert sich, nach Lawrenceville zu gehen«, sagte ich. Manchmal machte es mir Spaß, in Gegenwart von Earl und einer dritten Person Earls Verhalten zu erklären, indem ich exakt das, was er gerade gesagt hatte, in anderen Worten wiedergab. Wie ein lästiger Privatassistent, der in keiner Weise hilfreich war.
    »Ich hab kein Geld zum Essengehen.«
    »Earl verfügt über keine Rücklagen für solcherlei Unternehmungen.«
    »Ich wollte ja nur mal die Suppe hier auschecken.«
    »Earl hatte gehofft, von Ihrer Suppe kosten zu dürfen.«
    »Völlig ausgeschlossen«, verkündete Mr. McCarthy fröhlich und deckte die Terrine wieder zu. »Greg, lass mal einen Fakt rüberwachsen.«
    »Äh … Wie vieles in der vietnamesischen Küche enthält Pho Elemente der französischen Cuisine, speziell die Brühe, die der Consommé entlehnt ist.« Es ist mir peinlich, das zu sagen, aber diesen Fakt hatte ich

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