Ich vergebe dir - Bucciarelli, E: Ich vergebe dir - Io ti perdono
erfahren, was hier eigentlich passiert. Du benimmst dich wie ein alter Dickschädel, der sich um nichts anderes als um seinen eigenen Kram kümmert. Oder ist es der Sex, der dir Angst macht? Die Tatsache, dass es hier um Sex geht und dann auch noch mit Kindern? Darum geht es hier nämlich im Grunde. Ein Kranker, der sie anfasst. Bist du dir darüber eigentlich im Klaren?«
»Schäm dich! Meine Pflicht ist es, mich aller Seelen anzunehmen. Und genau das tue ich.«
»Dann müsstest du mal der Mutter zuhören, wenn sie erzählt, welche Horrorbilder ihr fast den Verstand rauben. Ein kleines Mädchen, das einem widerlichen Besessenen ausgeliefert ist. Der mit ihr alles Mögliche treibt. Sie fesselt, schlägt. Ihr die Unschuld raubt.«
»Das hat er bisher noch nie gemacht. Die Kinder geschlagen, meine ich.«
»Und woher weißt du das so genau?«
»Ich habe sie gesehen und mit den Eltern gesprochen.«
»Und was genau hat dann dieses Schwein gemacht? Sag es, wenn du es weißt!« Maria Dolores war rasend vor Wut.
»Das sind nur Details. Das Böse bleibt das Böse. Nimmt verschiedene Formen an. Und genau das muss ich bekämpfen, im Namen Gottes«, predigte er.
Manche Leute waren nur dazu geboren, die theoretische Seite der Dinge zu sehen. Und nichts weiter. Auf Kosten der anderen. Maria Dolores wusste, dass man gegen religiöse Borniertheit und Fanatismus nicht ankam. Das war die beste Abwehr, die sie als Mitgift für das eigene Leben mitbekommen hatte.
»Don Paolo, ich habe eine Entscheidung getroffen: Das war heute unser letztes gemeinsames Treffen. Zumindest bis du dich dazu durchgerungen hast zu sprechen. Ich habe keinerlei Absicht zu beichten, ich kann nur versprechen, dass ich ein Geheimnis für mich behalten werde. Als Psychologin, wenn du unbedingt Wert darauf legst.«
Er hatte sie zu dem Punkt gebracht, wo er sie haben wollte. Maria Dolores wusste nicht, dass der Priester genau das beabsichtigt hatte. Er blickte ihr tief in die Augen: »Versprich mir, dass du es wirklich machst. Lass dich als Therapeutin rehabilitieren, und ich werde dein erster Patient sein.«
25
»Ist dir eigentlich aufgefallen, dass die sieben vermissten Frauen alle aus dem gleichen Viertel stammten?«
»Und das wäre?«, fragte Maria Dolores neugierig.
»Feltre, Rombon, aus dieser Ecke da. Weißt du, wo das ist?«, erläuterte ihr Pietro Corsari noch immer verdutzt.
»Klar. Die Gegend gehörte schon immer zu jenen mit der höchsten Bevölkerungsrate in ganz Mailand. Im Übrigen erlaube ich mir einzuwerfen, dass ›vermisst‹ in diesem Fall wohl eher ein unpassender Begriff ist. Wenn du die Protokolle richtig gelesen hättest, dann wüsstest du, dass sie fast alle ausländische Prostituierte waren.«
»Ausländische Prostituierte? In den 70er Jahren?« Er erinnerte sich noch gut an diese Zeit, jedoch nur an einen einzigen Straßenstrich mit Frauen aus dem Veneto oder aus Süditalien.
»Vielleicht waren sie so etwas wie eine Vorhut, was weiß ich, wurden ausgeschickt, um neues Terrain zu erkunden«, unternahm Corsari den erstbesten Versuch einer Erklärung. »So etwas wie eine Avantgarde in Sachen Lust eben«, versuchte er zu witzeln.
»Wieso nicht. Um dem Regime zu entkommen, werden sie alles Mögliche unternommen haben. Muss damals noch ein ziemlich gutes Geschäft gewesen sein, als Hure zu arbeiten«, fügte sie hinzu und schlug sich bereitwillig auf die Seite der sündigen Frauen.
»Und trotzdem haben sie alle in der gleichen Gegend gearbeitet. Kannst du dir vorstellen, dass ihnen dabei niemand auf die Schliche gekommen ist?«, wandte Corsari ein und traf damit den eigentlichen Kern der Sache.
»Damals gab es andere Prioritäten. Rote Brigaden zum Beispiel. Polizei an jeder Ecke, die allerdings mit ganz anderen Dingen beschäftigt war.« Fette Jahre für Diebe und gewöhnliche Kleinkriminelle.
»Stimmt …«, antwortete er.
»Sie werden sie einfach auf einen LKW geladen und in die nächstbeste Stadt oder Region oder gleich in ein anderes Land verfrachtet haben. Wer weiß. Reden wir lieber über die beiden Italienerinnen.«
»Die eine war die Tochter einer illustren Prostituierten. Nach den Protokollen zu urteilen, lebt sie heute im Ausland.«
»Illustre Prostituierte?«
»Ja, zumindest für die heranwachsenden Männer jener Zeit. Sie hieß Teresa, genannt Tosa, und stand immer an der Ecke Via della Moscova und corso Garibaldi. Die Tochter verschwand eines Tages. Gerüchten zufolge soll sie mit einem der Zuhälter ihrer
Weitere Kostenlose Bücher