Ich versprach dir die Liebe: Roman (German Edition)
schlafen.
Das ist die Zusammenfassung der beiden letzten Tage. Ich habe dich geliebt. Und vor langer Zeit hast auch du mich einmal geliebt. Ist es nicht tragisch, dass es manchmal der Trauer bedarf, um das zu verstehen, was uns früher so lieb war?
In Liebe,
Peep
26
Vierzehn Jahre vor dem Unfall
A uch nach all diesen Jahren sind mir diese Fahrt und meine Albträume noch so gegenwärtig, als wäre es gestern gewesen. Ich versank in einem Chaos aus Torsi ohne Gliedmaßen, was vermutlich nicht weiter verwunderlich war, nachdem ich mich die ganze Woche in der Anatomie mit dem Zerschneiden von Leichen befasst hatte. Allerdings trugen die Torsi das Tattoo meines Vaters. Es war ein Baum, auf dessen Stamm der Name meiner Mutter stand und dessen Zweige die Namen meiner Brüder trugen. Und natürlich auch meinen. Die Blätter stellten einen in Frauenhänden geborgenen Fetus dar. Es waren Elles Hände. An ihrer Linken steckte der Opalring, den ich ihr einmal geschenkt hatte. Plötzlich zerschmolzen die Hände wie Wachs, und es sah aus, als ob Tränen über unsere süße, kleine Selina hinwegrollten.
Und dann hörte ich Elles Stimme – keine Ahnung, ob sie real oder eingebildet war –, die sagte: »Schon gut, Matt. Alles ist gut.«
Als wir in die Straße einbogen, wo wir aufgewachsen waren, schrak ich auf.
»Wir sind da.« Elle nahm meine Hand. »Deine Mom erwartet nicht, dass du dich ihretwegen stärker gibst, als du bist. Verstellung kann Linney jetzt nicht gebrauchen. Sie braucht nur dich, und zwar ganz in ihrer Nähe. Lass sie ruhig weinen. Und wenn du selbst weinen musst, erlaube ihr, dich dabei festzuhalten.«
Sie klang so sicher, dass es fast arrogant wirkte.
»Woher willst du das wissen?«
»Weil sie genau das zu mir sagte, als meine Mom starb.«
Das Neonlicht in der Küche flimmerte und warf kalte, harte Schatten. Elle begleitete mich in die Küche und setzte Wasser auf. »Möchtest du eine Tasse Tee?«
Ich nickte. »Mom scheint schlafen gegangen zu sein. Ob ich sie wecken soll?«
Wie auf ein Stichwort hörten wir die Treppe knarren. Mom kam herunter. Wir sprachen kein Wort. Sie nahm mich in die Arme, winkte Elle zu sich und umarmte sie ebenfalls.
Mom legte Wert darauf, dass Dads Beerdigung nicht trübsinnig ablaufen sollte. Wir erzählten uns lustige Geschichten und witzige Vorfälle, die mit ihm zu tun hatten. In diesen beiden Tagen erfuhr ich mehr über meinen Vater als in der gesamten Zeit davor. So aß er in der Grundschule zum Beispiel ein halbes Jahr lang ausschließlich Erdnussbutterbrote. Während seiner Zeit im Gymnasium half er seinem Vater, ein Haus für eine Familie zu bauen, die bei der Explosion ihres Ofens alles verloren hatte. Der Grund dafür, dass meine Mutter als bekennende Katzenliebhaberin nie ein samtpfotiges Haustier besaß, war Dads schreckliche Angst vor Katzen. Alle, die ihn kannten, bestätigten das, und ich fragte mich, wie es kommt, dass man oft nur so wenig über geliebte Menschen weiß. Bis sie eines Tages sterben.
Ich blickte zu Elle hinüber. Mir war nie bewusst gewesen, wie rachsüchtig sie sein konnte. Immerhin hatte sie jahrelang nicht mit mir gesprochen. Und ich hatte nicht begriffen, wie tief verletzt sie war. So tief, dass sie sich grundlegend verändert hatte. Sie spürte meinen Blick und kam zu mir. »Einmal hat dein Dad etwas gesagt, was ich nie vergessen kann.«
Und mir nichts, dir nichts verwandelte sie sich wieder in meine gute, alte Freundin. »Was denn?«
»Es war in dem Sommer, als du für das Baseball-Team deiner Schule als Werfer trainiert hast. Er nahm mich zur Seite und sagte: ›Sieh ihn dir an, Elle. Er ist vielleicht nicht das geborene Baseball-Talent, aber er arbeitet härter als alle andern.‹ Er war unglaublich stolz auf dich. Und dann hast du hintereinander drei Strike-outs geschafft. Dein Dad sprang auf, klatschte sich die Hände wund, drehte sich zu mir um und meinte: ›Ich muss mich korrigieren: Talent hat er auch!‹ Gott, ich vermisse ihn so sehr!« Sie drückte meinen Arm. Ehe sie wieder davonglitt, flüsterte sie mir zu: »Dich habe ich auch vermisst, Matt.«
Nach der Beerdigung stürmte die Verwandtschaft die Küche. Meine Mutter war vollauf damit beschäftigt, den Inhalt verschiedener Töpfe tellerweise zu portionieren. Es war ihr unmöglich, still zu sitzen und Beileidsbekundungen entgegenzunehmen. Auch ich konnte nicht still sitzen und wanderte rastlos hin und her. Eigentlich hätte ich in mein Zimmer gehen und meine Nase
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