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Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Titel: Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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schaukelnden Zuges gegessen, danach nahm ich den Kleinen mit in mein Abteil und gab ihm Greta zum Spielen.
    Es dauerte aber nicht lange, bis ein größerer Junge, ebenfalls in einem Matrosenanzug, in unser Abteil platzte und sichtlich froh war, den Kleinen zu sehen.
    Er nahm ihn an der Hand und führte ihn in sein eigenes Abteil zurück und ich schaute ihnen traurig nach.
    Um 12.10 Uhr hielt der Zug in Hannover an und ein paar weitere Kinder stiegen in unsere Waggons ein.
    In Bentheim, an der Grenze zwischen Deutschland und Holland, ertönte eine Stimme aus dem Lautsprecher, eine grässliche, laute und schnarrende Stimme, die mich an die von Adolf Hitler erinnerte. Sie verkündete, dass nun Zollbeamte einsteigen würden.
    Wieder bremste der Zug quietschend und knirschend ab und ein hell erleuchteter prachtvoller Bahnhof kam in Sicht.
    Doch auch dieser Anblick konnte mich nicht aufheitern.
    Ich sah die SS-Männer in unsere Waggons einsteigen und machte mich ganz klein auf meinem Sitz.
    Neben mir saß ein kleines Mädchen mit blonden Zöpfen. Es brach beim Anblick der SS -Männer in Tränen aus.
    Ich versuchte, es zu trösten.
    Die anderen Kinder im Waggon drängten sich aneinander, während wir warteten.
    Der Bahnsteig vor dem Zug war plötzlich voller kleiner Koffer, die aus dem Zug geworfen wurden und deren Inhalt über den ganzen Bahnsteig verteilt wurde.
    SS -Offiziere durchwühlten unsere Kleidungsstücke und Spielsachen, andere schritten auf dem Bahnsteig auf und ab, lachten und rauchten.
    Da wurde die Tür unseres Abteils aufgerissen.
    Im ersten Moment dachte ich, es sei Rolf, und mir wurde speiübel.
    Doch er war es nicht.
    Es war ein großer, hübscher, blonder SS -Mann mit blauen Augen, fast noch ein Junge. Mit einer Gerte in einer Hand und einem Karabiner in der anderen baute er sich vor uns auf.
    »Aufstehen, Judenkinder!«, bellte er.
    Wir sprangen auf.
    »Pässe her!«
    Mit zittrigen Händen überreichte ich ihm meinen Pass.
    Er schlug ihn auf, und ich sah die Seite, auf die der Buchstabe J eingeprägt war, und mein Passbild, das vor acht Monaten in Berlin gemacht worden war.
    Ich sehe so glücklich darauf aus, so sorglos, und ganz anders. Gar nicht so, wie ich mich heute fühle. Nicht wie die Marion, die ich jetzt bin.
    Nachdem der SS -Offizier unsere Pässe überprüft hatte, stapfte er wortlos wieder hinaus, und wir atmeten alle erleichtert auf.
    Der Zug verließ den Bahnhof und näherte sich der holländischen Grenze.
    Als ich aus dem Fenster schaute, sah ich eine flache Landschaft und viele Windmühlen, deren Flügel sich drehten und drehten, langsam und irgendwie beruhigend.
    Wieder kam eine Ankündigung über den Lautsprecher: »Meine Damen und Herren, wir befinden uns jetzt auf holländischem Territorium.«
    Und wir, die Kinder vom Kindertransport, brachen in lautes Jubelgeschrei aus.
    Wir hatten Deutschland hinter uns gelassen. Wir waren in Sicherheit. Und frei.
    Liebes Tagebuch,
    jetzt sind wir auf der Fähre und überqueren die Nordsee.
    Ich finde sie nicht halb so schön wie damals, als ich mit meinen Eltern in den Ferien in Travemünde war oder als wir nach Dänemark gefahren sind und ich auf dem Rückweg das ganze Marzipan aufgefuttert habe und anschließend über Mamas Zobel spucken musste.
    Ich bin wirklich froh, dass wir Deutschland hinter uns gelassen haben, aber das klingt jetzt sicher komisch, weil Mama und Papa ja noch dort sind.
    In Rotterdam sind sehr nette holländische Frauen an den Zug gekommen und haben uns Käse, Obst und Schokolade geschenkt, und dann fuhren wir noch ein kurzes Stück weiter bis nach Hoek van Holland.
    Am Abend um zehn Uhr sind wir auf die Fähre gegangen und jetzt sitze ich in meiner Kabine auf der oberen Koje. Rose schläft in der Koje unter mir.
    Ich habe versucht, mit ihr zu reden, aber sie bricht immer nur in Tränen aus und weint und weint. Sie lässt sich nicht trösten.
    Ich kann mich ja selbst kaum trösten, aber immerhin weine ich nicht. Nicht laut jedenfalls.
    Die Fähre legte im Morgengrauen in Harwich, Essex an. Wir Kinder bekamen Tee, Weißbrot, einen Apfel und eine Banane.
    Als Nächstes bekam jeder von uns ein Pappschild, mit unserem Namen darauf, und einer Schnur, damit wir das Pappschild um den Hals hängen konnten.
    Als ich es mir umhängte, musste ich plötzlich an mein erstes Faschingsfest in Berlin denken. Ich war sieben und meine Eltern haben mich als braunes Päckchen verkleidet. So richtig mit allem Drum und Dran: verschnürt, mit

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