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Ich war Hitlerjunge Salomon

Ich war Hitlerjunge Salomon

Titel: Ich war Hitlerjunge Salomon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Perel
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Blatt jederzeit wenden konnte. Daher suchte
    ich stets die hinterste Ecke auf, wenn andere mit im Umklei-
    deraum waren. Ich wollte jedem neugierigen Blick aus dem
    Weg gehen. Noch heute bekomme ich Beklemmungen und
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    Bauchgrimmen, wenn ich die Gemeinschaftsduschen eines
    Sportclubs betrete, dessen Mitglied ich bin.
    – Als ich dann Karl R. wiedertraf, erinnerte er sich plötzlich
    daran, daß ihn damals mehrere Mitschüler aufgesucht hatten,
    um ihm von meinem merkwürdigen Gehabe im Umkleideraum
    zu berichten. Erst jetzt erfahren sie den Grund … –
    Die RIF-Seife löste unerträgliche Situationen zwischen
    meinen Duschnachbarn und mir aus. Ich verfluchte sie, weil
    sie nicht ausreichend schäumte, die anderen schimpften auf
    die »verdammte Judenseife«. Die Buchstaben RIF waren die
    Abkürzung von Reines Judenfett . Unsere Verwünschungen
    richteten sich gegen dieselbe Seife. Doch welch furchtbarer
    Unterschied bestand zwischen ihnen! Da ich gelernt hatte,
    meine Gefühle bei jeder Gelegenheit zu beherrschen, suchte ich
    auch nicht, den tieferen Sinn dieses Seifennamens zu erfassen.
    – Am Gedenktag der Shoa interviewte das israelische Fern-
    sehen vor Jahren einen Juden, der eine RIF-Seife in der Hand
    hielt und erklärte, er habe sie nach Israel mitgebracht, um
    sie hier zu beerdigen, da sie aus Tausenden von Fetttropfen
    von Juden bestünde. Das war eine harte Prüfung für mich.
    Die Richtigkeit dieser Behauptung ist jedoch nicht bewiesen.
    – Das Problem der Beschneidung quälte mich unablässig und
    stellte ein fast unüberwindliches Hindernis dar. Ich beschloß
    daher, durch eine »Selbst-Operation« die Vorhaut zu dehnen.
    Als ich einmal eine BDM-Freundin besuchte, sah ich auf
    dem Tisch ein Knäuel dicker, weicher Wol e, aus dem sie eine
    Jacke für den Winter strickte. Diese Fäden waren genau die
    richtigen für mein Vorhaben, und ich stopfte einige Dutzend
    Zentimeter davon in meine Tasche.
    In der Schule dann schloß ich mich in die Toilette ein
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    und machte mich an die Arbeit. Ich zog meine Vorhaut kräf-
    tig herunter und verwünschte dabei meinen Mohel , meinen
    Beschneider der nicht großzügiger gewesen war … Ich um-
    wickelte sie dick mit den Wollfäden, damit sie nicht wieder
    zurückrutschte und sich zusammenzog. In Anbetracht der
    Elastizität der Haut hoffte ich, daß sie nach ein paar Tagen
    gedehnt wäre und an Ort und Stelle bliebe.
    – Kürzlich erst erfuhr ich, daß ich nicht der einzige war,
    der eine solche Tarnoperation versuchte, daß die alten helleni-
    sierten Juden schon vor mir die Vorhaut herabgezogen hatten,
    um das letzte Zeichen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum
    auszulöschen. Damals wußte ich noch nicht einmal, daß es
    sie gegeben hatte. –
    Derart bandagiert lief ich einige Tage herum. In jeder
    Pause eilte ich in mein »Behandlungszimmer«, die Toilette,
    um nach dem Stand der Dinge zu sehen und, wenn nötig, die
    Veränderungen vorzunehmen, die für einen Erfolg unerläßlich
    waren. Sogar nachts prüfte ich tastend, ob die Vorhaut noch
    richtig festgebunden war. Nach ein paar Tagen aber mußte
    ich aufgeben, eine Entzündung hatte sich eingestellt, und ich
    mußte die Wollfäden entfernen.
    Ich konnte kaum einen Fuß vor den anderen setzen. Den-
    noch arbeitete ich wie gewohnt. Beim täglichen Aufmarsch
    empfand ich schmerzhaft die mißlungene Manipulation. Ich
    leitete eine Gruppe Vierzehnjähriger, über die ich die Auf-
    sicht hatte. Da fragte mich eines der Kinder: »Josef, warum
    marschieren Sie nicht aufrecht und im Takt?« Vorwände zu
    finden, war mir so zur zweiten Natur geworden, daß ich
    sofort antwortete: »Oh, das hat nichts zu sagen, ich habe
    nur Rückenschmerzen.« – »Warum gehen Sie dann nicht
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    auf das Krankenrevier?« fragte der kleine Plagegeist weiter.
    »Da gehe ich erst hin, wenn es in ein, zwei Tagen nicht
    besser ist. Man geht nicht bei jedem Wehwehchen gleich
    zum Arzt!« Er nickte.
    Meine Antwort erhöhte die Achtung noch, die ich bei den
    Jüngeren genoß. Doch was sol te ich tun, wem hätte ich mich
    in dieser schrecklichen Lage anvertrauen können? Zum Arzt
    zu gehen hätte nur eines bedeutet: »Ich unterwerfe mich. Ihr
    habt gewonnen. Ich gehöre euch. Bringt mich um!« Doch der
    Selbstmord hat mich nie verlockt und schien mir in meiner
    Situation auch keine angemessene Lösung. Hatte Mama nicht
    befohlen: »Du sollst leben!«
    Der von der Entzündung hervorgerufenen Schmerzen wegen
    hatte ich also die

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