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Ich war Hitlerjunge Salomon

Ich war Hitlerjunge Salomon

Titel: Ich war Hitlerjunge Salomon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Perel
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Lippen
    formten lautlos: »Bei meinen Eltern … Bei meinen Eltern …«
    Ein Gefühl tiefer Einsamkeit nagte an mir. Unwirsch raffte ich
    die ganze vor mir liegende »Literatur« zusammen und stel te sie
    ärgerlich an ihren Platz zurück. Wie von der Tarantel gestochen,
    rannte ich in die Kanzlei zu Fräulein Köchy. Meine innere
    Stimme begehrte auf: »Jupp! Alle werden sie die Feiertage
    bei ihren Eltern verbringen, und nur du bleibst wieder allein,
    hast niemanden, der dir nahesteht.« Dagegen lehnte ich mich
    auf. Diesmal würde es nicht so sein. Auch ich, Sally, hatte
    Eltern! Daß man sie ins Ghetto gesperrt hatte, änderte nichts
    daran. Ich hatte ein Recht auf sie wie jedes Kind. Auch um
    den Preis meines Lebens? fragte ich mich. Ich befand mich in
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    einen rauschhaften Zustand, und die Frage schien mir falsch
    gestellt. Ich wollte mir die Gefahr nicht eingestehen. Wellen
    tiefer Sehnsucht schlugen über mir zusammen, und ich ließ
    mich von den Fluten mitreißen.
    Entschlossen, in das Ghetto von Lodz zu fahren, tauchte
    ich im Schulsekretariat auf. Fräulein Köchy war noch da. Sie
    hatte mit den Vorbereitungen der zahlreichen Reisen al e Hände
    voll zu tun, und als ich eintrat, beugte sie sich zusammen mit
    dem Personalobmann über einen Stapel Papiere. Man mußte
    die Weihnachtsurlauber nicht nur mit einem Urlaubsschein,
    sondern auch mit Lebensmittelkarten, Taschengeld und Hin-
    und Rückfahrkarten versehen.
    Und da platzte ich herein und störte sie bei der Arbeit. Sie
    blickten auf, und ich brachte mein Anliegen vor: »Ich möchte
    in die Ferien fahren und Sie bitten, mir die notwendigen
    Reisedokumente auszustellen«, sagte ich mit fester Stimme.
    Überrascht starrten sie mich an. Nach kurzer Pause sagte der
    Obmann: »Ach! Und wohin, bitteschön, möchtest du reisen?«
    »Nach Lodz!« – »Und, was führt dich nach Litzmannstadt?«
    Dieser nazistische Technokrat ließ nicht locker.
    »Die Regelung einiger Angelegenheiten«, erklärte ich, et-
    was unsicher geworden. Seine Stimme hingegen nahm einen
    strengen Ton an: »Ich bin nicht willens, diesem Urlaub statt-
    zugeben. Wir sind für das Wohlergehen und die Sicherheit
    des Schülers Perjell verantwortlich. Das hieße, sich unnötig
    in Gefahr zu begeben. Ich lade dich gern ein, mit mir und
    meiner Familie Heiligabend zu feiern.« Ich war enttäuscht
    und niedergeschlagen. Mein plötzlicher Entschluß ließ sich
    nicht verwirklichen. Fräulein Köchy merkte mir meine Enttäu-
    schung wohl an, denn sie griff ein, »erklärte« mein rätselhaftes
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    Reisebegehren. Sie machte den Obmann darauf aufmerksam,
    daß die Zeitungen kürzlich über die Besiedlung eroberter
    polnischer Gebiete berichtet hätten, daß man im Rahmen
    des vom Reich beschlossenen Germanisierungsplans Tausende
    von Volksdeutschen Familien aus dem Osten dort ansässig
    gemacht habe. Unter diesen Siedlern könnten ja Leute aus
    Grodno sein, und er, Scharführer Josef, wolle bestimmt ver-
    suchen, Menschen aus seiner Heimatstadt zu finden, die ihm
    über etwaige Familienangehörige Auskunft geben könnten. Sie
    fügte hinzu, daß Josef sehr selbständig sei, Fronterfahrung habe
    und daß man sich auf ihn verlassen könne. Die harmlosen
    Vermutungen der liebenswürdigen Sekretärin rührten mich.
    Ich dankte ihr innerlich für ihr Wohlwollen. Sie wußte nicht,
    wie nahe ihre Worte der Wahrheit kamen! In der Tat hegte
    ich auch die Absicht, Landsleute oder Verwandte ausfindig
    zu machen, in erster Linie aber meine Eltern.
    – Als ich 1985 nach Braunschweig reiste, wurde ich auch
    von Fräulein Köchy empfangen. Sie erinnerte sich sehr genau
    meiner damaligen Bitte und teilte mir etwas Erschreckendes mit,
    von dem ich keine Ahnung gehabt hatte. Mein Wunsch, nach
    Lodz zu fahren, hatte mehrere Personen im Internat höchst
    erstaunt und gefährliche Gerüchte über mich ausgelöst. – Ich
    dankte dem Obmann für seine freundliche Einladung, die
    Weihnachtsfeiertage im Kreise seiner Familie zu verbringen,
    wiederholte jedoch meine Bitte, nach Lodz fahren zu dürfen.
    Die Sekretärin unterstützte mich, machte geltend, daß sie
    persönlich einer solchen Reise nicht ablehnend gegenüberstehe.
    Er ließ sich überzeugen und stimmte zu. »Ich bin Ihnen sehr
    verbunden, vielen Dank«, sagte ich glücklich, »Heil Hitler!«
    Von den Weihnachsferien trennten uns nur noch wenige
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    Tage. Alle möglichen Fragen stürmten auf mich ein. Wo-
    hin würde mich dieses kühne Unternehmen

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