Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich war Hitlerjunge Salomon

Ich war Hitlerjunge Salomon

Titel: Ich war Hitlerjunge Salomon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Perel
Vom Netzwerk:
mir,
    doch der Beamte las in aller Ruhe in seinen Unterlagen und
    sprach kein Wort. Plötzlich hob er den Kopf und fragte: »Aus
    199
    welcher Gegend stammt der Name Perjell?« – »Aus Litauen,
    aus dem Osten, Baltikum«, antwortete ich ohne zu zögern.
    Ich erinnerte mich an den Namensexperten, den ich an der
    Front in Minsk getroffen hatte. – »Stimmt, stimmt. Du hast
    wahrscheinlich recht!« sagte er überzeugt. »Also wo ist deine
    deutsche Abstammungsurkunde? Sie fehlt. Wir brauchen sie
    zur Vervollständigung unserer Akte.«
    Stolz holte ich die unschätzbare Verlustbescheinigung über
    meine Ausweispapiere hervor und hielt sie ihm hin. Er nickte.
    »Ja gut, diese Bescheinigung verdient allen Respekt. Aber zur
    offiziellen Vervollständigung deiner Akte brauchen wir etwas
    Amtliches. Du mußt dich unverzüglich an deine Heimat-
    stadt Grodno wenden und eine Abschrift deiner deutschen
    Abstammungsurkunde anfordern! Andernfalls müßten wir
    zu den üblichen Maßnahmen greifen …«, sagte er lakonisch
    und lächelte kalt. »Jawohl, ich werde noch heute einen Brief
    nach Grodno schreiben, wie Sie wünschen!« antwortete ich
    und überlegte hastig, welche andere Lösung sich anböte.
    Während die Front bereits zusammenbrach und die Alli-
    ierten in Frankreich ihr siegreiches Befreiungswerk fortsetz-
    ten, brachten es diese Deutschen noch fertig, sich um die
    Einsickerung artfremder Elemente in ihr Elitevolk Sorgen zu
    machen! Wir tauschten noch ein paar Höflichkeitsfloskeln aus
    und verabschiedeten uns mit dem üblichen Hitlergruß. Ich
    sprang die Stufen hinab. Ich brauchte dringend frische Luft.
    Ich atmete tief durch und fühlte mich besser. Dann blieb ich
    ratlos stehen. Selbstverständlich würde ich nicht nach Grodno
    schreiben, einfach weil dort kein Volksdeutscher namens Josef
    Perjell geboren worden war.
    Ich wunderte mich darüber, daß der Beamte nicht auf die
    200
    Idee gekommen war, selbst dorthin zu schreiben und dies
    mir überlassen hatte. Daß ich einen Monat Zeit hatte und
    mittlerweile irgendeine andere Lösung finden könnte, tröstete
    mich. Ich hatte das Gefühl, frei zu sein, doch frei wie ein
    zum Tode Verurteilter in einer Zelle ohne Gitterstäbe und
    Türschloß.
    In der HJ-Schule ließ ich mir meine düstere und sorgen-
    volle Stimmung nicht anmerken. Ich beschloß, am nächsten
    Sonntag der Familie Latsch einen Besuch abzustatten, um
    mit Lenis Mutter über die drohenden Wolken zu sprechen,
    die sich über mir zusammenzogen, und mir Rat zu holen.
    Doch dazu kam es nicht mehr. Mein Schutzengel griff von
    neuem ein. In der Nacht nach meinem Behördengang wurde
    Braunschweig zum ersten Mal bombardiert. Bis dahin hatten
    uns die alliierten Flugzeuge überflogen, ohne eine einzige
    Bombe abzuwerfen. Die Luftangriffe galten Berlin. Daher war
    der örtliche Luftschutz nicht besonders wachsam. Außerdem
    bestärkte ein übrigens plausibles Gerücht die Bewohner in dem
    Glauben, die Stadt werde verschont. Man erzählte, daß das
    Haus Braunschweig mit der britischen Königsfamilie verwandt
    sei und diese daher die Stadt ausgespart sehen wollte, um sie
    unversehrt in Besitz nehmen zu können. Dieses Gerücht hielt
    sich hartnäckig bis zu der Nacht, als Dutzende von Leucht-
    raketen, sogenannte Weihnachtsbäume, den Himmel taghell
    il uminierten und ein Bombenregen die Stadt in einen Schutt-
    haufen verwandelte. Braunschweig brannte. Die Explosionen
    hatten uns überrascht und lösten eine allgemeine Panik aus,
    die größer war als diejenige in Grodno. Welch wankelmüti-
    ges Schicksal! Wieder einmal war ich heftigen Luftangriffen
    ausgesetzt, doch diesmal gereichten mir die Bomben zum
    201
    Vorteil. Schreckensschreie und sich widersprechende Befehle
    ertönten und gingen im Bombenlärm der fliegenden Festun-
    gen B17 unter.
    Eine Ruine war nun auch das Gebäude mit der »Abteilung
    Deutsche Staatsangehörigkeit«, in der meine Akte der Bestäti-
    gung aus Grodno harrte. Das Haus wurde restlos zerstört, und
    es wäre vergebliche Mühe gewesen, nach eventuel en Überbleib-
    seln der Akte zu suchen. Alles war in Flammen aufgegangen.
    Ich sandte dem Himmel ein Dankgebet für den anonymen
    Piloten, der so trefflich gezielt hatte, bevor er seine Bombe
    abwarf. Ich sagte mir: »Siehst du, Schloimele, jetzt werden sie
    dir keinen Ärger mehr mit ihren Nachforschungen über deine
    Abstammung machen!« Nach der Entwarnung rief man uns
    zu den Trümmerkommandos. Wir hatten bereits Übung, da
    wir

Weitere Kostenlose Bücher